Mobile Röntgenstationen - Roman
Hämorrhoiden bedeuteten! Theoretisch, versteht sich. Eine schreckliche, peinliche Krankheit, schlimmer als Syphilis und Schwindsucht zusammengenommen. Fast alle dachten damals so. Lieber gleich im Erdboden versinken. Schien sie doch einer geschlechtlichen Perversion sehr ähnlich, diese Krankheit, und beinahe nur Homosexuellen eigen, mithin Päderasten. Was für ein Schrecken! Dreist goss ich den restlichen Kognak des Schauspielers in Ellis leeren Eisbecher und trank ihn mit einem Schluck aus. Aber Ellis Papachen lächelte noch immer. Ihm gefiel die Verwirrung dieses Grünschnabels. Er fühlte sich gleichsam doppelt belohnt für seine Tat – die russische Armee hatte er reduziert und obendrein den zu nichts taugenden potenziellen Schwiegersohn gehörig gedemütigt. Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen! Etwas versöhnlicher gestimmt, versuchte er sich zu rechtfertigen: Anders, Kinder, wäre nichts gelaufen, gar nichts!
Und ich hatte schon alles vor Augen. Wie Frau Vogel, Sekretärin der Fakultät, das Kuvert aufreißt mit meiner schriftlich bestätigten Krankendiagnose, aufjauchzt und sie dann gleich irgendeiner Laborantin oder sogar einem Dozenten zuflüstert. Das Getuschel wird natürlich auch meiner Kollegin Toma Lisenkaite. zu Ohren kommen, die mit einem Finger Lexikontexte abtippt, und schon nach einer halben Stunde wird die halbe Fakultät bei einem Teller Suppe und einem Glas Bier lebhaft mein Ungemach erörtern, vulgär gesprochen, mir mit der Zunge über den Hintern fahren. Sie werden den Gang der Krankheit zu prognostizieren versuchen, kichern bis zu Tränen, von Bekannten erzählen, die nach Erhalt einer solchen Diagnose die Schande nicht aushielten und sich erhängten oder sonst wie Selbstmord begingen. In der Tat, lieber einen Strick um den Hals, als ständig dieses Geflüster anhören zu müssen. Siehst du ihn? Da kommt der, der Hämorrhoiden hat! Ich hielt mich für einen gebildeten Menschen, doch ich war fest davon überzeugt, dass sich diese Krankheit einzig auf dem Geschlechtswege verbreitete …
Ellis Vater hatte noch etwas mitzuteilen: Das ist noch nicht alles. Es ist unwichtig, dass sie dich rausgeschmissen haben. In einem Jahr kannst du zurückkehren. Ich habe mich erkundigt. Vorerst werden diese Schafsköpfe im Kommissariat dich nicht einziehen, so hat man es mir gesagt.
Aber ich hörte nicht mehr zu, was er da faselte.
Heute glaube ich übrigens auch nicht mehr, dass Ellis Erzeuger mir in voller Absicht solch eine schmachvolle Krankheit ausgesucht hatte, um mir akademischen Urlaub zu verschaffen. Denke auch nicht, dass Elli und ich uns wegen meines vermeintlichen Ungemachs trennten. Übrigens, schon einige Tage nach der Sitzung im Café berichtete sie mir, sie habe über meine akademische Diagnose und die Therapie dieser Krankheit reden hören, im Trolleybus Nr. 3! Nicht die Krankheit trennte uns, ihr versteht doch, dass ich keine Hämorrhoiden hatte! Eher waren wohl meine Ambitionen schuld, die ihren ebenfalls! Dazu die gegenseitige Antipathie zwischen mir und ihrem Vater. Und noch dutzend andere Dinge, die hinzukamen, nicht zuletzt Ellis unerwartete Frage, als wir nach einem Kinobesuch ins Literatai einkehrten: Hör mal, mein Schatz, erzähl mir alles über diese Lucija! Ich wurde rot wie eine Pfingstrose, damals errötete ich noch gegen meinen Willen. Und das war schon meine Antwort. Was für eine Provinz, was für eine geistige Armut! Jetzt hat das alles einen schöneren Namen: Nachrichtendienst . Damals sagte man es einfacher und richtiger: üble Nachrede . P l otki o panach i paniach, wie unsere polnischen Brüder zu sagen pflegen. Wir sahen uns immer seltener, und wenn wir mal irgendwo einkehrten, dann hatte ich immer den Eindruck, dass mir von jedem Tisch im Café oder in der Bibliothek unbekannte Menschen einen Blick zuwarfen, alle mit derselben stummen Frage: Wer hat gewagt, diesen Typ hier reinzulassen? Der ist doch an Hämorrhoiden erkrankt! Ganz und gar elend fühlte ich mich, wenn ein Freund, sonst kein schlechter Kerl, in bester Absicht, ohne zu spotten, mich diskret bemitleidete, zu beruhigen suchte, dass Hämorrhoiden noch nicht das Ende der Welt bedeuteten. Das brachte mich wirklich in Rage. Und noch wütender wurde ich, als mir ein weibliches Wesen helfen wollte, Stefanija, aus dem gleichen Ort wie ich und von Kindesbeinen an mit mir bekannt. Offenbar studierte sie Medizin und war daher geneigt, zahlreiche praktische, konkrete Therapiehinweise zu geben: Hygiene
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