Mobile Röntgenstationen - Roman
Elli in den Park, und auf halbem Wege trafen wir Lucija, nachdenklich, zerstreut, offenbar auf dem Weg zum Lager. Aber sie bemerkte uns, lächelte flüchtig, nickte kurz mit den Kopf. Als wären ihr zwei nicht sonderlich sympathische Zöglinge ihrer Klasse begegnet. Hübsch, wer ist sie? – erkundigte sich Elli. Ach, so eine Russistin, hier aus dem Ort, erwiderte ich kühl. Hübsch, wiederholte Elli, und ich staunte: Nie zuvor hatte sie sich über ein anderes weibliches Wesen auf diese Weise geäußert!
Nachdem wir ein Boot losgekettet hatten, ruderte ich mit ihr auf den See hinaus, an einer flachen Stelle am anderen Ufer badeten wir, und als wir auf dem Rückweg waren, sah ich die beiden, schon von der Mitte des Sees aus: Lucija und Antanas Bladžius. Wie angegossen saßen sie in einem abgeschlossenen Kahn. Als wir anlegten, drehten sie sich nicht mal nach uns um, obwohl sie unsere Stimmen hören mussten, wie auch das Rasseln der Kette. Bladžius saß allerdings mit dem Rücken zu uns, er trug den gleichen grauen Anzug, auch Lucija sah ich nur im Profil. Sie hatte dasselbe schreckliche, lange Kleid an und redete mit energischer, aber gedämpfter Stimme auf Bladžius ein. Der ließ weiterhin keine Regung erkennen. Kein Zweifel, dass ihm Lucija diesmal nicht die russische Literatur erklärte. So lebhaft und ausdrucksstark waren ihre Gesten, da leistete jemand Überzeugungsarbeit. Hätte ich Gelegenheit gehabt, Antanas Bladžius’ Gesichtsausdruck zu studieren, ich hätte sicher so manches herauslesen können. Aber dazu war keine Gelegenheit. Nicht mal, als Elli und ich gingen, blickten sie auf. Wir waren offenbar nicht vorhanden für die beiden, es gab Wichtigeres für sie.
Sie ist wirklich blendend schön. Elli berührte meine Schulter. – Man ruiniert sich die Augen.
Ich hatte aus irgendeinem Grund geglaubt, Röntgenologen müssten ziemlich wortkarge Menschen sein. Weitergehen bitte. Und hier hinstellen. Ja, hier. Atmen Sie bitte ein. Jetzt die Luft anhalten. Bitte mal rumdrehen. Ja, so ist es gut. Der Nächste. Da wird wenig Gelegenheit sein, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, aber Ausnahmen mochte es geben. Hätte Bladžius gestern oder heute Lucija durchleuchtet , dann war zu vermuten, dass der Dialog länger, intensiver, intimer hätte sein müssen. Machen Sie sich bitte oben frei. Stellen Sie sich hierhin. Nein, nein …
Während ich mich entfernte, warf ich noch einen Blick auf die beiden im Kahn. Auf die Russistin und den Röntgenologen. Elli machte jetzt irgendeine beißende Bemerkung. Sie hatte wohl längst etwas geahnt. Der kleine Pfad bog nach rechts ab, der See war auf einmal von Büschen verstellt, und Antanas Bladžius verschwand für ewig aus meinem Gesichtskreis. Vielleicht nur deshalb, damit ich später so viel über ihn erfahren sollte?
Dieses Bild stand mir lebendig vor Augen, als wir unterwegs waren in Lucijas neues Heim. Es befand sich in demselben Hof, wo auch die Doktoren, bei denen ich nichts erreicht hatte, ihre Praxen hatten und mir Ellis Vater jene rettende und zugleich verfluchte Bescheinigung besorgt hatte. Ein seltsames Gefühl, neben mir eine junge, attraktive Frau, mit der ich noch unlängst beinahe den halben Sommer … Und jetzt nichts, gar nichts?! Schön, würde Elli auch jetzt sagen. Glücklich, würde ich hinzufügen, man sieht es, vor allem um die Augen herum. Schläft wenig, isst wenig. Raucht sicherlich. Aus einer Telefonzelle rief ich Elli an, sie solle allein ins Kino gehen oder gar nicht. Nie vermochten wir, auf menschenfreundliche Weise miteinander Schluss zu machen, oder schafften wir es nicht? Beide zogen wir die Sache hin, schoben sie auf, fanden immer wieder unschuldige Vorwände, uns noch mal zu treffen, obwohl alles klar war – ihr Vater hatte bereits für sie einen geeigneten Freund und Partner gefunden, einen Mediziner, Spezialist für Darmkrankheiten. Auf Elli hatte er auch Eindruck gemacht, über Gefühle sprach sie nicht. Ich habe ihm alles über dich erzählt, teilte sie mir mit. Alles: das verpfuschte Studium, die schriftstellerischen Phantastereien, deine Hämorrhoiden und deinen akademischen Urlaub. Dann machte mich Elli sogar mit ihm bekannt. Robert Manteufel hieß der Darm-Spezi. Ein Teufelsmann. Aber kein Deutscher, zumindest kein reiner Deutscher. Sehr ähnlich einer Miriam Rubinstein, der jüdischen Uroma mütterlicherseits. Gut aussehend, gebildet. Nachdem er mir die Hand gedrückt hatte, kam er gleich zur Sache: Ihr Weg, junger Mann,
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