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Mobile Röntgenstationen - Roman

Mobile Röntgenstationen - Roman

Titel: Mobile Röntgenstationen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ATHENA-Verlag e. K.
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an Hrasilda. Schließlich, wenn auch zögernd, ein Kuvert. Für den Doktor, erklärte sie, gib es ihm, unbedingt, er soll nach dem Kind sehen. Sie versuchte in Tränen auszubrechen, es gelang nicht. Dann rief sie ihrem Starkus etwas zu, aber der nickte mir nicht mal mit dem Kopf zu, ich war Luft für ihn. Im Bus öffnete ich den Umschlag: Lenin auf einem Fünfzigrubelschein. Auch ohne Mütze, kahlköpfig. Wo doch damals so ein Witz kursierte : Ein Georgier, der Geld gefälscht hatte, flog schließlich auf, mit einem ganzen Koffer voller Blüten. In einem Restaurant wollte er bezahlen, und da sehen sie, dass Lenin auf den Hundertern überall eine Mütze hatte. Das brachte ihn zu Fall. Wieso ist der hier mit Mütze, wurde er gefragt. Kak pomnju, tak i risuju! – gab der zurück. Wie ich es in Erinnerung habe, so hab ich es auch gezeichnet! – Gut, es reicht. An einem großen See, der bereits Kaunasser Meer genannt wurde, lag Danielės Krankenhaus. Ich werde ihr selbst das Kuvert übergeben, soll sie mit dem Geld machen, was sie will.
    Ich saß in einem Bus, der wohl auf das Ende seiner Tage zuging, noch ein Ikarus -Modell. Vor jedem Hügel schnaufte er, der ganze Kasten erbebte, aber mutig näherte er sich Kaunas, dem vielleicht letzten Reiseziel. Alle, die mit mir fuhren, selbst die unterwegs zustiegen, schienen sich zu kennen, begrüßten einander freudig, um dann gleich Neuigkeiten auszutauschen: Beerdigungen, Brände, Messerstechereien, Autounfälle, gute Nachrichten bekam ich nicht zu hören, bis wir in Kaunas ankamen, wo ich an demselben Büfett wieder Kaffee und Kognak bestellte. Ich kaufte mir sämtliche neuen Zeitungen, sogar die Volkswacht. Noch kein Suchfoto von mir? Ich lächelte nicht mehr, zu müde. Es gab auch nichts, worüber man sich amüsieren konnte. Wie sollte man loskommen von dieser trüben, grauen Stadt, wie sich geistig erheben? Von diesem Kuvert mit den kahlköpfigen Lenins, diesem bleiernen Kaunasser Meer? Von diesen Militärs mit ihren Kommissionen … Sind wir nicht nackt geboren und frei? Melancholie nur, noch nicht das Weltende. Ein Dichter hat es längst ausgesprochen:  … sie werden dich erdrosseln, Mensch, die Nichtigkeiten dieser Welt! Wie auch nicht, natürlich werden sie das. Früher oder später. Selbst die großen, die globalen Angelegenheiten erschienen gering, wie die an Kupfermünzen erinnernden Blätter der Birken und Akazien im Herbst. Schließlich schüttelte ich diese flachen Betrachtungen ab und sah mich in der Vorstadt nach dem Lungensanatorium um.
    Hier lag Schnee, es war trocken. Auch irgendwie fröhlicher. Die Sonne blinzelte, aber gleich trübte es sich wieder ein. Und nochmal die Sonne, vielleicht war das Absicht? Still war es hinter der Stadt. Wie auf dem Dorf beinahe. In der Ferne die Kirchturmkuppeln von Anava und Pažaislis. So einsam über diesem schwarzen Ozean.
    Und Danielė fand ich draußen! Eingepackt bis zu den Ohren, spazierte sie durch den Krankenhausgarten. Rot im Gesicht, munter. Sie war überrascht, aber schon im nächsten Augenblick lächelte sie verschmitzt und breitete die Arme aus. Wozu das Theater, dachte ich gereizt. Niemals hatte sie sich so betragen. Aber als ich auf sie zukam, fiel sie mir nicht um den Hals. Und küssen war den Kranken hier strengstens verboten. So standen wir eine Weile Stirn an Stirn. Sie lächelte immer noch, ich nicht. Beide schwiegen wir. Bis sie mich am Ärmel zupfte. – Oho, so fesch gekleidet! Gehen wir, unterhalten wir uns ein bisschen. Wir fanden im Inneren des Krankenhauses einen abgelegenen, warmen Raum. Irgendwas hatte sich verändert bei ihr, ich hatte es gleich gesehen und gespürt, vielleicht inspiriert vom analytischen Verstand ihrer Mutter? Freilich ließ sich nicht sagen, dass ich sie durchschaute. Als wir schon über alles geredet hatten, sagte sie: Es ist dir gelungen, Schelm. Ich hob die Brauen. Wie meinte sie das? Da gibt es einen, der hat sich in mich verliebt, sagte Danielė im Flüsterton, wirklich verliebt. Auch ein Schwindsüchtiger, auch hier in Behandlung, schon ein halbes Jahr. Das war es also. Hätte nicht gedacht, dass es so schnell geht. Doch dann erinnerte ich mich: das gesteigerte Lebenstempo bei diesen Kranken. Und Danielė kannte ich, die ging mit solchen Worten nicht leichtsinnig um. – Und du, Danielė? – fragte ich und fuhr zusammen, ich hatte mich ja bereits abgefunden! Tief im Innersten spürte ich Halunke sogar so etwas wie Erleichterung. Sie zuckte mit den Schultern. –

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