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Mobile Röntgenstationen - Roman

Mobile Röntgenstationen - Roman

Titel: Mobile Röntgenstationen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ATHENA-Verlag e. K.
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Plaste oder das Modell eines Düsenjägers und neben anderen Souvenirs das unvermeidliche Bilderalbum. Wie viele davon hab ich zu sehen bekommen. Diese Jungs waren gewöhnlich angetrunken, und sie waren furchtlos. Weder höherrangige Offiziere noch die Patrouillen der Kaunasser Garnison flößten ihnen Respekt ein. Offen gesagt: Ich war wütend auf sie und beneidete sie zugleich. Die pfiffen auf alles, und auf das, was Uniform trug, zuallererst. Auch an die andere Zeremonie erinnerte ich mich jetzt: Begleitung der Einberufenen zum Sammelpunkt in meinem heimatlichen Städtchen. Gedränge in den Straßen, dann vor dem Kommissariat. Eine Mundharmonika, desperate Gesänge, Witze, laut heulende Mütter und in Ohnmacht fallende Bräute, die bereits nach einem halben Jahr einen anderen heiraten würden. Die Groteske und das Melodram, diese beiden Genres gingen schon immer Hand in Hand in der Provinz.
    In jenes abgelegene Städtchen reiste ich inkognito , so hatte ich es mir vorgenommen, und erst bei völliger Dämmerung. Leere Straßen, trübe Beleuchtung an hölzernen Masten. Deutlich zu sehen die Silhouette der Kirche mit ihren Doppeltürmen, die kahlen Bäume vor der Sakristei. Offenbar war auch der Friedhof ganz in der Nähe. Ein lärmender Krähenschwarm gehörte ebenfalls zu diesem Stillleben. Sonst war es ein eher lauer, windstiller Abend. Küchendunst und Tabaksqualm aus einer Kneipentür, ganz wie in der Stadt am See. Diesmal werde ich nicht einkehren, keine Zeit. Ein Bursche, der gerade aus der Tür trat, zeigte mir das Haus von Danielės Eltern, ganz am Ende der Straße gelegen. Ein massiver Bau, zwei Eingänge, das Dach mit Wellblech gedeckt. Großer Garten, ein Brunnen, ein schwarzer, bösartig aussehender Hund. Und was sage ich, wenn ich in der Tür stehe? Wie soll ich mich vorstellen? Haben die beiden Alten wenigstens mit einem Ohr von mir gehört?
    Guten Abend, – ich hatte mich an dem Hund vorbeigedrückt und angeklopft. – Ich möchte zu eurer Danielė, ist sie zu Hause?
    Die Mutter – wie ähnlich sie Danielė sah! – und der grauhaarige Vater, der einen finsteren Eindruck machte, warfen einander einen vielsagenden Blick zu. Und wieder hatte ich Glück: Die jüngere Schwester Sigūtė kam mir zu Hilfe, Danielės Vertraute, wie sich später herausstellte. Sie flüsterte ihrer Mutter aufgeregt etwas ins Ohr. Die saß da und blickte mich unverwandt an, bis sie schließlich mit dem Kopf nickte und mir einen Stuhl anbot.
    Von Sigūtė hing jetzt alles ab. So wie sie Bericht erstattete, so würde ich hier aufgenommen werden. Während sie redete, gab es eine einzige Frage: Wo ist denn nun Danielė? Offenbar war sie nicht im Haus, sonst hätte sie sich schon längst gezeigt.
    Bald stellte sich heraus: Schon die dritte Woche lag Starkus’ Älteste in der Kaunasser Tuberkuloseklinik. Die Krankheit war plötzlich in eine akute Phase getreten: Husten, hohe Temperatur, Blut aus dem Mund. Die Mutter berichtete, nicht eben in freundlichem Ton, aber immerhin. Die Heilungschancen wurden angeblich als gut bewertet. Etwas Ähnliches sei zu erwarten gewesen. Offenbar hatte man sich im Haus schon mit Danielės Krankheit abgefunden, ließ es sich nur nicht anmerken. Dennoch, der Ärger, dass so etwas gerade ihnen passieren musste, stand der Mutter ins Gesicht geschrieben. Und immer der gleiche Refrain: Wer hätte mit so etwas rechnen können? Wer? Niemand. Bei uns hier ist niemals jemand an der Schwindsucht erkrankt! Da ist nur die Stadt schuld, diese Nichtsnutze dort, diese gottlosen! Alles richtig, das konnte man nicht bestreiten. Dann übernachten Sie auch hier, junger Mann, wenn Sie schon hierher gefunden haben, sagte die Starkuvienė schließlich. Der Vater sprach kein Wort, aber ich spürte auch so, dass ich ihm schrecklich missfiel. Nur, wozu sich den Mund verbrennen, er war anwesend und war es auch nicht.
    Gut, dass ich die Flasche Starka nicht auf den Tisch gebracht hatte. Weniger gut, dass ich mich, bevor es über die Kloßsuppe herging, nicht bekreuzigte. Einen Löffel an den Kopf bekam ich nicht, aber ich war doch endgültig enttarnt: ein nichtsnutziger Atheist und Freigeist, was sonst. Gut, dass ich auch nicht um Erlaubnis gebeten hatte, rauchen zu dürfen, ich würde es ja überstehen. So, immer kichernd, kommentierte Sigūtė mein Benehmen, während sie mir das Bett aufdeckte, es war noch nicht spät am Abend. Im vorigen Jahr, so erfuhr ich, hatte sie die Schule beendet und Schauspielerin werden wollen, war

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