Modesty Blaise 10: Der Xanadu-Talisman
Tanger befand und dass ein Mädchen namens Modesty Blaise, ein Mann namens Willie Garvin und Dr. Giles Pennyfeather sie aus Xanadu herausgebracht hatten. Tracy June war nur der letzte Name bekannt.
»Was, zum Teufel, bildet ihr euch ein?«, fragte sie in schrillem Cockney-Dialekt. »Entführer, das seid ihr! Ich werde euch die Polizei auf den Hals hetzen. Wer hat euch erlaubt, dort hineinzuplatzen und mich, ohne zu fragen, fortzuschaffen?«
In Modestys vor Verblüffung leicht betäubtem Gedächtnis stiegen René Vaubois’ Worte auf, als er aus Bernard Martels Akten zitierte. Über Martels Frau hatte er gesagt: »Sie stammt aus dem East End von London und ist die Tochter eines Arbeiters.«
Pennyfeather sagte beruhigend: »Bitte, Tracy June, Sie sollten sich wirklich nicht so aufführen. Leider haben wir eine schlechte Nachricht für Sie.«
»
Ihr
seid die schlechte Nachricht, soviel ich sehe!«
»Tracy, bitte setzen Sie sich«, sagte Pennyfeather bestimmt. »Ich muss Ihnen etwas sehr Trauriges über Bernard mitteilen.«
»Über wen?«
»Über Bernard, Ihren Mann. Er starb vor einiger Zeit.«
»Oh.« Einen Moment lang sah sie erstaunt drein, aber unmittelbar darauf gewann ihre Streitlust wieder die Oberhand. »Nun, das ist ja nicht
meine
Schuld, oder?«
Modesty presste die Fingerspitzen gegen die Schläfen und fragte fassungslos: »Ist Ihnen das ganz gleichgültig?«
»Wie? Nun, nicht ganz gleichgültig, aber schließlich hab ich ihn ja nicht sehr lang gekannt, nicht? Und überhaupt, was hat das damit zu tun?«
»Er … er wollte Sie aus Xanadu herausholen, befreien.«
»Ach nein, tatsächlich? Und wo bleibe ich? Wer sagt, dass ich befreit werden will?« Sie zuckte die Schultern. »Ich weiß, anfangs war es ’n bisschen komisch dort, und ich hatte Schiss. Aber es ist mir nie im Leben so gut gegangen.« Sie starrte Pennyfeather an. »Sie behaupten doch, Arzt zu sein. Zum Teufel, dann müssen Sie doch Bescheid wissen. Habe ich je verlangt, nach Hause zurückzukehren? Nach Hause, dass ich nicht kichere! Bevor ich nach Xanadu kam, hatte ich nichts als Ärger im Leben. Aber dort war es prima. Wir Mädels im Harem haben eine tolle Zeit. Was immer wir wollen, wir müssen es bloß sagen. Wisst ihr, was ich den ganzen Tag mache? Ich schlafe, bis ich Lust habe aufzustehen. Ich sehe mir nette Filme an, wann ich will. Ich esse, was ich will. Rahim ist es piepegal, ob ein Mädchen fett wird oder nicht. Er ist Araber und mag die Dicken. Ich kann faulenzen, Platten spielen, mit den anderen Mädchen schwatzen, Sonnenbäder nehmen, am Schwimmbad liegen, mit Rahim schlafen, wenn er Lust auf mich hat, und wenn ich etwas haben will, muss ich es ihm nur sagen. Es ist ein feines Leben dort, und ich brauch keinen Finger zu rühren.«
Abgesehen von einem halb erstickten Laut von Willie Garvin war es still auf der Terrasse. Endlich murmelte Giles Pennyfeather: »Wollen Sie damit sagen … Sie wären lieber dort geblieben?«
»Natürlich, Sie alter Esel!«
Modesty sagte langsam: »Gut, Tracy June. Gehen Sie in Ihr Zimmer zurück, und ich lasse Ihnen ein Frühstück schicken. Ihre Kleider werden soeben gewaschen und gebügelt. In einer Stunde wird Rahims Agent aus Tanger hier sein. Sie können mit ihm gehen, und er wird Sie nach Xanadu zurückbringen.«
Tracy June holte Atem, um weitere Klagen vorzubringen, doch der eisige Blick der mitternachtsblauen Augen belehrte sie eines Besseren. Sie drehte sich so abrupt um, dass ihr Hemd hochflog und einen kurzen Blick auf ihren wohlgeformten Popo bot. Dann stolzierte sie ins Haus zurück. »Das ist interessant«, bemerkte Giles Pennyfeather.
»Man sah, dass sie ziemlich wütend war, trotzdem waren ihre Glutealmuskeln nicht angespannt, hast du das bemerkt?«
Modesty sagte gepresst: »Meine sind es.« Sie ging zum Tisch und setzte sich nieder. Willie hielt, einen Ellbogen auf den Tisch gestützt, die Hand vor die Augen. Modesty sagte: »Wenn du jetzt laut lachst, bring ich dich um, Willie.«
Er schüttelte protestierend den Kopf, erlangte mühsam Kontrolle über seinen Gesichtsausdruck und sagte mit unsicherer Stimme: »
Solang ich es verschwieg, waren meine Glieder matt, den ganzen Tag musste ich stöhnen …
Psalm 32, Vers 3.«
»Was ist eigentlich los?«, erkundigte sich Pennyfeather.
»Was los ist? Was los ist? Ich werde es dir sagen, Doktor. Als El Mico diesen armen Teufel auf dem Gras röstete, wollte ich nur die einfache, primitive Blaise-Masche machen – den Schweinehund
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