Mörderischer Stammbaum
was tun! Umfragen machen!
Stimmen sammeln! Auf die Volksvertreter einwirken! Die Stadträte können sich
doch nicht aufspielen wie göttliche Schicksalsverfüger — nur weil sie das
Wahlvolk erfolgreich belabert und nun ihren Sitz haben. Mit Mandat. Mit Auftrag
fürs Gemeinwohl.“
„Ein Politiker fühlt sich nur
seinem Gewissen verpflichtet“, erklärte Karl. „Das gilt als Entschuldigung für
jeden Mist, für jede Fehlentscheidung.“
„Dann müssen wir den
Dumpfbacken eben mal beibringen“, sagte Tim, „was das ist — ein Gewissen. Wir
werden uns schlau machen — und dann ran an die Entscheidungsträger!“
5. Stiller Teilhaber beim
Kleinen
Lothar Redl war wütend.
Unverschämt, dieser Lümmel! Ihn
so umzuwerfen? So zu behandeln! Und so zu verdächtigen! Diese Jugend von
heute!!! Hat die überhaupt noch Wertvorstellungen und Leitbilder?, fragte er
sich. Natürlich nicht. Die wollen nur alles leicht haben, Randale machen und
Partys feiern. Jawohl!
Redl kannte nur ganz wenige
Jugendliche. Aber sein Vorurteil war gefestigt.
Er war zu seinem Wagen
geschlurft, war dann in die City gefahren und ins Bankhaus Cash
& Lappen gegangen, wo er ein Geschäftskonto unterhielt.
Es war inzwischen 14.37 Uhr
geworden, und der Himmel über der Stadt überzog sich langsam mit einer grauen
Wolkendecke.
Aber auch bei Sonnenschein wäre
es eine schicksalhafte Begegnung geworden.
Denn als Redl das Bankhaus
verließ, ging im Vorraum — wo auch der Geldautomat war — ein Typ an ihm vorbei:
klein, bullig, bekleidet mit einem grauen Parka.
Redl trat ins Freie, überlegte
kurz, folgte einem Instinkt und machte kehrt.
Die Glastür zwischen dem
Vorraum der Bank und der Schalterhalle lag seitlich. Von der Straße aus konnte
man nicht hineinsehen ins Innere des Geldinstituts. Und jetzt klemmte innen ein
Keil unter der Tür — ein schlanker Plastikkeil.
Redl atmete heftig. Sein
Instinkt! Nein, nicht nur! Etwas in der Haltung des Typs hatte ihn alarmiert.
Diese starre Miene. Diese übermäßige Anspannung in den Zügen.
Redl trat zur Zwischentür und
spähte in die Halle.
Der Bankräuber hatte sich
maskiert. Mit grauer Sturmhaube, was eigentlich mehr eisigen
Januar-Temperaturen entspricht, aber jetzt durchaus seinen Zweck erfüllte. In
der Hand hielt der Typ eine kleine Pistole. Eine Tränengaspistole, wie Redl
erkannte. Aber andere würden das nicht erkennen. Denn sie gleicht einer
scharfen Waffe total. Und nicht mal Redl war sich sicher. Obschon er sich als
Waffennarr verstand. Ja, er sammelte Schusswaffen. Illegal hatte sich zu Hause
ein Arsenal angesammelt; und auch jetzt trug er eine Pistole in einem
Lederhalfter an der Hüfte. Er hielt das für zulässig. Drohte doch — wie er
meinte — an jeder Ecke ein Überfall. Und am liebsten hätte er, Redl, auch
diesem Peter Carsten, Tim genannt, seine Waffe unter die Nase gehalten. Hatte
dann aber klugerweise darauf verzichtet. Denn der Bursche war höllisch schnell
und gewandt.
Jetzt hielt Redl den Atem an
und spähte.
Kein Kunde war in der Halle.
Hinter den Schaltern fünf
Angestellte.
Eben wurde der Gangster an der
Kasse bedient.
Die Kassiererin, total
verängstigt und schlotternd als stünde sie barfuß im Schnee, stopfte Banknoten
in die Falttasche, die der Typ mitgebracht hatte.
Redl beeilte sich, wieder auf
die Straße zu kommen.
Es war mitten in der
Fußgänger-Zone — die Bernhäuser Straße überfüllt wie immer.
Redl postierte sich vor einem
Feinkostgeschäft und wartete.
Nach einer Minute kam der Typ
aus der Bank, eilig, aber ohne auffällige Hast. Natürlich hatte er Pistole und
Wollmaske weggesteckt. Ein semmelblonder Typ mit rundem Schädel, knapp
einssechzig groß, etwa dreißig.
Ja, das ist er!, dachte Redl.
Der ,Kleine’! So hatte ihn die Presse genannt. Der war inzwischen berüchtigt.
Ein Witz!, dachte Redl. Mich
haben diese Kids für den ,Beißer’ gehalten, und mir läuft jetzt der ‚Kleine’
über den Weg. Unsere Stadt ist wirklich ein heißes Pflaster. Ja, hier kann
alles passieren.
Der Bankräuber verschwand um
die Ecke in die Riedacker Straße. Redl sockte hinterher.
Selvin Platz. Oberer Marktweg.
Im Hintergrund heulte die
Alarmsirene der Bank. Dort rang man sicherlich die Hände. Die Kassiererin nahm
Beruhigungstropfen. Und vielleicht hatte sich einer der männlichen
Bankangestellten in die Hose gemacht. Aber das war immer noch besser als den
Helden zu spielen mit anschließender Beerdigung zu eigenen Kosten.
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