Möwenfluch (Vloek op Meeuwen) (Möwennest) (German Edition)
konnte. Er hastete zum Fernseher und schaltete ihn ein. Nach schier endloser Suche fand er den Sender. Derzeit lief Werbung für ein Waschmittel.
Stojic hatte sich in seinen Sessel gesetzt, nahm die Kaffeetasse vom Schreibtisch und nippte daran.
„Nun? Waschmittel, diese Woche zum Sonderpreis. Ich bin beeindruckt, Kollege Kulac .“
„Nein, nein. Das meine ich nicht. Sie wiederholen es bestimmt gleich.“, erwiderte Viktor, dem der Schweiß auf der Stirn ausbrach.
„Nun komm schon“, zischte er den Fernseher an und wurde prompt erhört. Nach dem Werbespot blendete der Sender zum zweiten Teil einer Sondersendung über. Im Bild erschien eine Reporterin in rotem Blazer und schwarzer Hose. Sie stand mit einem Mikrofon in der Hand an irgendeinem Strand. Im Untertitel wurde ihr Name angezeigt. Elka van de Hoog .
Obwohl ihr dünnes blondes Haar vom Wind zerzaust und immer wieder in ihr Gesicht geweht wurde, setzte sie ihre Berichterstattung, die durch die Werbung unterbrochen worden war, fort.
„Hier sind wir wieder, exklusiv vom Strand auf Schouwen-Duiveland “, sagte sie in gewichtigem Tonfall mit geradem Blick in die Kamera „Ein schwerer Sturm hat vermutlich in der Nacht bei Westenschouwen zum Einsturz des bekannten Strandrestaurants Het Meeuwennest geführt. In den letzten Jahren hat sich das seit über zehn Jahren geschlossene Restaurant aufgrund seiner ungewöhnlich spektakulären Lage, aber vor allem seiner geheimnisumwitterten Geschichte wegen, zu einem wahren Touristenmagneten entwickelt. Berühmt wurde das Restaurant in erster Linie durch seinen Erbauer und Besitzer, den exzentrischen holländischen Sternekoch, Ari Gissaldri Sklaaten , der im Jahr 2002 in einen der aufsehenerregendsten Kokainfunde der jüngeren Geschichte verwickelt war. Seit Jahren ist er untergetaucht. Obwohl die Behörden mittlerweile verlauten ließen, dass es gut möglich sei, dass der Sternekoch mittlerweile tot ist. Die die betreffenden Ermittlungen leitende Polizeieinheit geht davon aus, dass er von den Strippenziehern eines weitläufigen Rotterdamer Schmugglerrings vor einigen Jahren umgebracht worden sein könnte. Die Polizei fahndet seit Jahren erfolglos nach Sklaaten und den Drogenschiebern, erhofft sich von den Ereignissen der letzten Nacht jedoch neue Erkenntnisse. Bislang ist nicht abschließen geklärt, wie genau es zur Zerstörung des Gebäudes kam. Fest steht, dass sich, als das Unglück geschah, mehrere Personen in dem seit März 2002 geschlossenen Restaurant aufhielten und das trotz einer von der Gemeindeverwaltung verfügten Regelung, die jegliches Betreten von Het Meeuwennest und dem dazugehörigen Zugangssteg untersagt.“
Die Reporterin machte ein ernstes Gesicht. „Bislang konnten zwei schwer verletzte Personen geborgen werden. Wer die Männer sind, ob es weitere Überlebende oder Tote gibt und welcher Wahnsinn sie dazu trieb, in das seit Jahren so berüchtigte wie einsturzgefährdete Gebäude einzudringen, ist bislang ebenfalls völlig unklar …“
Während die Reporterin weiter über die Umstände und den schweren Sturm der letzten Nacht berichtete, zeigte das Fernsehbild im Wasser treibende Überreste, Treibholz und das, was von dem Restaurant auf der Sandbank im Meer übriggeblieben war - sieben zerborstene Grundpfeiler und einen Schwarm Möwen, die auf der Wasseroberfläche paddelten.
Stojic hatte nach den ersten Worten der Reporterin den Kaffee weggestellt und sich nach vorn gebeugt. Viktor beobachtete ihn. Er konnte erkennen, wie sein von Natur aus blasser Chef von Sekunde zu Sekunde immer mehr Farbe im Gesicht einbüßte, bis er weiß wie ein Ziegenkäse war.
„Wieso erfahre ich davon jetzt erst?“ wollte Stojic nach Minuten des Schweigens wissen. Viktor fand keine plausible Antwort. Bis gerade hatte er noch gedacht, Petr wäre erfreut, dass er so früh davon erfuhr.
„Wieso, verdammte Scheiße, erfahre ich erst jetzt davon?“, wiederholte er. Seine Stimme war nicht viel mehr als das bekannte Flüstern, aber ihr Ton war scharf, gefährlich, sehr gefährlich. Er stand auf, nahm die Kaffeetasse vom Tisch und näherte sich dem Fernseher. Elka verabschiedete sich in den nächsten Werbeblock.
„Ich fragte: Wieso muss ich das aus dem Fernseher von einem grinsenden Blondchen erfahren?“, schrie Petr. Die Tasse flog so unvermittelt durch die Luft, dass Viktor Kulac nicht mehr reagieren konnte. Einen halben Meter vor ihm schlug sie auf dem Marmor auf und zerplatzte in tausend Scherben.
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