Möwenfluch (Vloek op Meeuwen) (Möwennest) (German Edition)
erscheinen ließ.
„Sie wollen doch nicht zuhören und würden es sowieso nicht verstehen.“
„Lassen Sie es mich einfach versuchen“, beharrte Ari.
„Nein, so einfach …“
Ehe sie noch etwas sagen konnte, landete ganz in ihrer Nähe eine schwarze Möwe, schaute sie aus roten Augen an und gab einen Schrei von sich, der ihr die Gänsehaut auf die Arme trieb. Sklaaten war fasziniert, einen solchen Vogel hatte er noch nie gesehen. Er hatte eine geradezu magische Anziehungskraft auf ihn. Die Blumenhändlerin musterte das Tier mit weniger Begeisterung.
„Du schon wieder. Unheilsbringer . Vermaledeite Brut“, zischte sie, schnappte sich eine in Reichweite liegende Gartenschaufel und warf sie nach dem Vogel.
Er wich dem heranfliegenden Gegenstand aus, flatterte auf, flog einen engen Kreis und setzte sich dann auf das schräge Reetdach des kleinen Ladens. Von dort hörte man ihn wieder und wieder krächzen.
„Verschwinde!“, rief Inga und starrte hinauf. Ihre Stimme zitterte.
Der Aufforderung trotzend blieb die Möwe wo sie war, kreischte, drehte den Kopf hierhin und dorthin und hackte mit dem Schnabel auf dem Dach herum.
Erst als sich Ari räusperte, vermochte die Blumenhändlerin ihre Aufmerksamkeit von dem Tier loszureißen und sich wieder auf ihn zu konzentrieren.
„Also? So einfach … was?“, fragte er.
„Wie? Was? Ahm … Ach so …“, sagte Inga. „Es gibt eine Menge Dinge, die nicht so einfach zu erklären sind. Ich kann das unmöglich tun.“
Ari sah sie mit seinen blauen Augen an. Er musste unbedingt wissen, was die Dorfbewohner über diesen Landfleck im Meer wussten und ihm so vehement verschwiegen. Die Neugierde trieb ihn. Ein halbes Jahr hatte er vergebens versucht, etwas herauszubekommen. Die Blumenhändlerin war seine letzte Chance. Bei allen anderen war er auf eisernes Schweigen gestoßen.
„Bitte, Inga … Frau Heemstedde “, flehte er. „Lassen Sie mich versuchen, es zu verstehen.“
Er klang aufrichtig interessiert an der Geschichte, auch wenn es in seinem Innersten eigentlich nur darum ging, seinen Wissensdurst zu stillen.
Die Frau zögerte, dann sagte sie nach einem letzten Blick auf die Möwe auf dem Schrägdach: „Also schön, kommen Sie herein. Manche Worte sind nicht dazu bestimmt, im Freien ausgesprochen zu werden.“
Er folgte ihr ins Ladeninnere und setzte sich ihr gegenüber auf einen dreibeinigen Schemel. Inga drehte das Schild an der Tür von Open auf Gesloten , zog einen Stuhl hinter der Theke hervor und verschwand dann kurz im privaten hinteren Teil des kleinen Häuschens. Während Ari den Blick über Blumengestecke und diverse Touristensouvenirs schweifen ließ, hörte er es klacken und klimpern. Sie kam zurück mit einem Tablett, auf dem eine Kanne Tee, zwei Tassen, ein alter Scotch und eine Schüssel Gebäck platzgefunden hatten. Sie stellte alles auf die Theke, goss sich Tee ein, kippte einen kräftigen Schluck Whisky dazu und setzte sich auf den Stuhl. Mit einer Handbewegung bedeutete sie ihm, sich zu bedienen. Er lehnte dankend ab. Nachdem sie die Tasse gelehrt und sich eine zweite eingegossen hatte, begann sie zu erzählen.
Ari hörte ihr sehr genau zu und mit jedem Satz, den Inga Heemstedde preisgab, wuchs in ihm das Schaudern.
Als er den Laden einige Stunden später wieder verließ, war die Dämmerung hereingebrochen. Aber nicht nur draußen war es düster und wolkig geworden, auch auf seinem Gemüt lag ein großer Schatten.
Ingas Stimme hallte in seinem Kopf nach. Sie wiederholte immer wieder die gleichen Sätze. Worte, die er nie wieder vergessen sollte. Und dennoch, dieses Restaurant war sein Traum, seine Vision. Für nichts in der Welt würde er den aufgeben. Ingas Worte waren zwar eindringlich und auch beunruhigend gewesen, aber von seinem Plan würde ihn das nicht abbringen …
29. Juni 2012, Restaurant Het Meeuwennest
Es war viel Zeit vergangen seit dem Gespräch mit der guten Inga Heemstedde und doch kam es Ari Sklaaten in diesem Moment vor, als wäre es erst vor wenigen Tagen gewesen. Er erinnerte sich an jedes Detail dieser Begegnung.
„Ein Fluch lastet auf diesem Ort“, wisperte Ingas Stimme hinter seiner Stirn. Sie hatte trotz der Jahre, die inzwischen vergangen waren, nichts von ihrer Deutlichkeit verloren.
„Selbst wenn man besitzt, wovor es sich am meisten fürchtet, kann man es nicht ewig kontrollieren. Zu viele Menschen sind gestorben. Tun Sie uns das nicht ein zweites Mal an. Wenn man es aufweckt und es
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