Möwenfluch (Vloek op Meeuwen) (Möwennest) (German Edition)
über den seltenen Carrara-Marmor des Flurs geschritten, war an ihnen vorbeigegangen, -gelaufen, -geschlendert und hatte sich immer wieder gefragt, wie man sich so etwas freiwillig in die eigenen vier Wände hängen konnte. Petr Stojic konnte es offensichtlich und keiner seiner Angestellten hatte jemals den Mut besessen zu fragen, was er an den kitschigen bunten Gemälden im Goldrahmen so toll fand. Teilweise waren es auch einfache krakelige Zeichnungen oder überbordend bunte, knallige Bilder, die Viktors fünfjähriger Sohn genauso gut hinbekommen hätte. Es war eines von Stojics vielen Geheimnissen, die er niemandem zu erklären bereit war. Und das würde sich auch heute nicht ändern.
Kulac hatte Neuigkeiten, schlechte Neuigkeiten. Eben erst hatten sie es in einer Sondermeldung gebracht. Auf dem kleinen Fernseher in seinem Portierhäuschen hatte er es gesehen. Die Nachricht war keine zehn Minuten alt und bisher hatte sich nur ein Regionalsender aus der Provinz Zeeland darum gekümmert, aber die anderen Sender würden zweifelsohne bald nachziehen. Er musste sich sputen. Das war seine Chance, ein paar Pluspunkte bei Petr zu machen und verspieltes Vertrauen zurückzugewinnen.
Viktor hetzte den Gang entlang. Er war beinahe am Ziel, raste um die letzte Ecke und stieß vor Stojics Büro mit dem Türsteher zusammen. Der schubste ihn von sich und machte ein finsteres Gesicht. Viktor wankte mehrere Schritte zurück.
Andrej Illic war annähernd zwei Meter groß, hatte einen kahl rasierten Kopf und ein breiteres Kreuz als jeder Mensch, den Viktor je gesehen hatte. Sein vorstehendes Kinn und die flache Stirn rundeten den Eindruck eines professionellen Schlägertypen ab. Er war ein Gorilla im schwarzen Anzug mit gerade so viel Grips, dass es ausreichte, sich nicht mit der Pistole der Marke H&K an seinem Gürtel selbst zu erschießen. Der Anzug saß maßgeschneidert, betonte seinen kräftigen Oberkörper und ließ ihn noch bedrohlicher wirken. Andrej baute sich vor ihm auf. Er war kein Mann der vielen Worte und das war nur einer der Gründe, wieso er nicht beim Telefondienst arbeitete, sondern Tag für Tag eine Tür bewachte.
„Was ist?“ fragte er und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich muss zu Stojic . Wichtige Neuigkeiten“, antwortete Viktor.
„So wichtig wie der Grund, wegen dem du jetzt Tordienst schieben musst?“, feixte der Gorilla.
„Andrej, ich hab keine Zeit für Scherze“, mahnte Kulac , doch der Türsteher grinste weiter dümmlich.
„Anton sagt, wenn du noch mal Scheiße baust, passt du demnächst nur noch darauf auf, dass keiner den Müll klaut, oder zählst Fische unter Wasser.“
Der zum Portier degradierte Killer ging nicht weiter darauf ein. Er wusste selbst, dass er Mist gebaut hatte, von einem Halbaffen musste er sich das allerdings nicht immer wieder auf die Nase binden lassen.
„Lässt du mich jetzt endlich vorbei?“, fragte er, seine wenige Geduld war am Ende.
„Geht nicht“, sagte Andrej.
„Und wieso nicht?“
„Weil Petr gerade frühstückt.“
Die Antwort brachte Viktor auf die Palme. Dieser Trottel verstand mal wieder den Ernst der Situation nicht.
„Scheiß auf das Frühstück. Ich habe wichtige Informationen!“, schrie er und schob Illic beiseite.
Das ließ sich dieser wiederum nicht gefallen, machte einen Ausfallschritt, packte den deutlich kleineren und schmächtigeren Kulac am Kragen und drückte ihn mit voller Wucht gegen die Wand. Eine von Viktors Rippen knackte, sodass ihm die Luft wegblieb.
„Ich sagte, geht nicht“, knurrte Andrej in Viktors Ohr. „Und was ich sage, ist in meinem Flur Gesetz. Du Würstchen.“
Weitere Nettigkeiten konnte er nicht loswerden, denn im selben Augenblick schwang die weiße Doppelflügeltür hinter ihm auf und Petr Stojic trat hinaus. Er war ein hagerer Mann Ende fünfzig, an dem die Spuren des Alters nicht vorbeigezogen waren. Das schwarze Haar war licht und an vielen Stellen bereits vollständig ergraut. Adrett hatte Stojic es zur Seite gescheitelt, was jedoch die hohe faltige Stirn nicht zu verbergen vermochte und die Geheimratsecken zusätzlich betonte. Seine Augen waren gräulich-blau, hatten aber den irgendwann einmal vorhandenen Glanz verloren. Sie wirkten ermattet und ausdruckslos, wie bei Veteranen, die traumatisiert aus einem Kriegsgebiet zurückkehrten, weil sie zu viele Tote, Verletzte und zu viel von all den anderen Gräueltaten gesehen hatten. Die Narbe oberhalb des spitzen Kinns, die sich
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