Möwenfluch (Vloek op Meeuwen) (Möwennest) (German Edition)
aufbäumenden Welle versperrt. Ein Gesicht zeichnete sich im schwarzen Wasser ab. Ein Blitz zuckte im Hintergrund, der Donner knallte in Harrys Ohren. Die Fratze im todbringenden Nass war unverkennbar. Sem, der Killer, schrie nach ihm. Harry verstand keines seiner Worte, riss das Ruder herum und flüchtete. Er kam nicht weit. Die Woge verfolgte ihn. Er sah über die Schulter zurück. Sein Herz raste. Die Augen weit geöffnet. Die Welle kam näher, immer näher, türmte sich auf, hatte das Heck des Bootes schon erreicht.
„MÖRDER!“, schrie sie. Harry wagte nicht zu antworten, konnte kaum atmen, hoffte auf ein Wunder, aber das Meer kannte keine Gnade. Der Kamm der Riesenwelle beugte sich über ihn und brach unter ohrenbetäubendem Getöse. Schwarzer Schaum gurgelte Meter über ihm.
Harrys Flucht war vorbei. Die Flut ergoss sich über ihm. Hammerschlägen gleich schlugen die Wassermassen über seinem Kopf zusammen.
Getaucht in eiskaltes Wasser, das ihm die Luft zum Atmen nahm, fand er sich in einer Dunkelheit wieder, die schwärzer war, als alles, was er bis dahin kannte.
Er spürte, dass der Sauerstoff knapp wurde, konnte aber nicht erkennen, wo sich die Oberfläche befand. Er war eingehüllt von absoluter Schwärze ohne oben oder unten, ohne rechts und links.
In diesem Augenblick wusste er, das war der Tod. Und auch wenn er seit jeher einen ausgereiften Überlebensinstinkt besessen hatte, so hatte er doch keine Angst vor dem Unvermeidlichen, auch wenn sein Körper kämpfte, seine Lungen krampften, die Arme wild ruderten und die Beine strampelten. Es kam ihm alles ganz natürlich vor. Er musste einfach nur noch loslassen …
Doch plötzlich war dort eben jenes grelle Licht und durch all das Rauschen und Gurgeln des tötenden Wassers hörte er eine Stimme.
Zuerst dachte er, es sei Sklaatens oder Sems verzerrtes Gekreische, doch das war längst verstummt. Diese neue Stimme gehörte jemand anderem. Sie war weiblich, beruhigend wie Balsam und drang aus weiter Ferne an seine Ohren.
„Es ist doch gut. Alles wird gut. Keine Sorge“, flüsterte sie ihm zu, dabei umgab ihn immer mehr von dem beißend hellen Leuchten. Er kniff die Augen zu, aber es war noch immer da.
Die Dunkelheit ließ von ihm ab, bis sie gänzlich verschwunden war. Das Wasserrauschen verklang langsam und nach schier unendlich langem Martyrium gab es nur noch das Licht und diese freundliche, lebendige Stimme.
„Es ist alles in bester Ordnung, Harry Romdahl . Sie sind in Sicherheit“, beruhigte die Stimme. Er spürte, wie jemand seine Hand tätschelte und sie ihm dann auf den Bauch legte.
Er versuchte die Augen zu öffnen, aber das Licht brannte, also ließ er sie geschlossen.
„Herrje. Bin ich tot?“, fragte er benommen, spürte Schmerzen in seinem Kopf und zuckte deswegen zusammen. Die Stimme lachte.
„Du liebes Bisschen! Nein, Harry Romdahl , Sie sind nicht tot. Gott sei Dank nicht. Sie sind auf dem Weg in ihr Krankenzimmer. Wir befinden uns im Admiral De Ruyter Ziekenhaus . Sie sind im Krankenhaus, Harry Romdahl . Ich bin ihre Krankenschwester. Monica. Sie können jetzt aufhören, gegen die Dämonen in Ihrer Ohnmacht zu kämpfen. Alles ist in bester Ordnung. Sie sind jetzt in Sicherheit.“
„Gut, gut“, murmelte Harry, drückte die Hand, die die seine noch immer hielt, und sank kurz darauf zurück in die Bewusstlosigkeit.
kapitel 2
2. Juli, Krankenhaus Zierikzee
Als Harry wieder erwachte, hatte er das Gefühl, er hätte eine Ewigkeit geschlafen. Er öffnete die Augen und glaubte zunächst, er sei ganz alleine. Keine Spur von der netten Krankenpflegerin. Er lag in einem Krankenhausbett in einem Krankenzimmer, gekleidet in Patientenkluft, angeschlossen an diverse Überwachungsinstrumente, die unterschiedliche Körperfunktionen überprüften. Er blinzelte. Seine Augen stellten nur widerstrebend die Umgebung scharf.
Wie lange er wohl weggetreten sein mochte ?
Das Zimmer war in hellem Gelb gehalten, durch die halb zugezogenen Gardinen drang Sonnenlicht herein. Es war warm, die Fenster geschlossen. Der Fernseher in der Ecke lief lautlos.
Vermutlich ist jetzt Mittagszeit.
An der gegenüberliegenden Wand hing ein gerahmter Posterdruck. Harry kannte das Motiv. Zonnebloemen . Es war eines der berühmtesten Bilder des Malers Vincent van Gogh. Der Mann hatte es in unzähligen Variationen gemalt.
Unter dem Bild, rechts und links neben einem kleinen Beistelltisch, standen zwei braune Holzstühle, darauf saßen zwei Männer
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