Möwennest-Reihe Gesamtband (German Edition)
haben alles durchkämmt und dabei nichts gefunden. Ich habe selbst mit dem Beamten gesprochen, der die Aktion geleitet hat, ein gewisser Ben Beelham. Netter Kerl. Er ist heute leitender Commissaris in Coljinsplaat an der Oosterschelde. Der hat mir die ganze Aktion Schritt für Schritt erklärt, wegen meiner Touristenführungen hier. In ein paar unschöne Fallen sind sie getreten, die Ari dort hinterlassen hat. Ein paar falsche Fliesen, aus der Wand ragende Tranchiermesser und derartige Spielchen. Einige sinnlose Späße hat er sich erlaubt und dazu passende kleine Gedichtverse an die Wände geklebt. Kommst du in mein Haus hinein, schlitz ich dir ins rechte Bein und so. Der Mann war verrückt und hat Petr Stojics Geld mit Sicherheit nicht dort aufbewahrt. Das Teil steht, seit es geschlossen wurde, leer. Es ist ein Nistplatz für Meeresvögel. Da wohnt keiner und da gibt’s nichts zu holen. Wenn man da einsteigt, riskiert man höchstens das eigene Leben.“
Sem schüttelte vehement den Kopf.
„Unsinn!“ blaffte er, um dann in normalem Tonfall fortzufahren. „ Het Meeuwennest ist der einzige Ort. an dem er sich noch verstecken kann, weil keiner damit rechnet, dass er dort ist. Und selbst wenn er dort gestorben ist, hat er seine Beute mit Sicherheit irgendwo dort gelassen und wir werden sie finden.“
„Wir?“, fragte Harry irritiert und schaute dabei offensichtlich so geschockt, dass Sem darauf in ein fürchterlich selbstgefälliges und hässliches Lachen ausbrach.
„Harry, es gibt einen guten Grund, wieso du noch nicht tot bist“, erklärte er, als er sich wieder beruhigt hatte. „Du kennst dieses Gebäude in- und auswendig. Du weißt um die Gefahren und die Chancen, hast Informationen wann und von wo man am besten mit dem Boot heran kommt. Du bist der Schlüssel.“
Damit griff sich Sem die Baupläne, die ganz oben in der Kiste lagen und kam auf Harry zu.
„Ich werde dich jetzt losbinden. Wenn du eine falsche Bewegung machst, knalle ich dich ab. Wir werden uns in der Küche an deinen Esstisch setzen und du wirst mir jede Einzelheit dieses Bauplans erläutern. Hast du mich verstanden?“
Harry nickte widerwillig. Es war ohnehin schlimm genug, dass er bei seinem Auftrag versagt hatte. Jetzt noch zur Marionette dieses lebensmüden Geldjägers zu werden, behagte ihm gar nicht. Allerdings hatte dieser Schatzsucher eine Pistole und Harry besaß so etwas nicht, zumindest nicht selbst. In der Kiste lag eine Knarre – eingeschweißt, ohne Registriernummer - mit einem vollen Magazin 9mm Patronen. Das war die Waffe, die Ari Sklaaten hätte töten sollen, wäre es je soweit gekommen. Sie war in diesen Augenblicken jedoch unerreichbar weit weg. Sem löste Harrys Fesseln.
***
14:30
Es war mittlerweile halb drei und die Wolkendecke hatte sich zugezogen. Man hörte das Schild über der Eingangstür bei jeder stärkeren Böe knarzen. Der Regen würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Die beiden Männer saßen nebeneinander an dem kleinen Holztisch in der Küche. Sem hatte den Bauplan darauf ausgebreitet und Harry hatte damit begonnen, ihm die Einzelheiten zu erläutern, dabei massierte er immer wieder seine schmerzenden Handgelenke.
„Das ist die neueste Fassung des Bauplans, die ich auftreiben konnte. Sie enthält einige Überarbeitungen, die in der ursprünglichen Planung nicht vorhanden waren. So haben wir hier zum Beispiel an drei Stellen Anlegeleitern mit Pollern und Ausstiegstrittbrettern.“ Harry zeigte auf drei Punkte, die eine diagonale Linie durch den Grundriss bildeten.
„Die Zugänge hier vorne und dort hinten werden nicht mehr benutzbar sein. Vor vier Jahren ist ein Teil der hinteren Terrasse eingebrochen und voriges Jahr im Winter hat es - während eines Sturms - die vordere linke Hälfte erwischt. Bleibt nur noch der Aufstieg über die zentrale Anlegestelle. Nur, die zu erreichen, dürfte nicht einfach sein.“
„Warum?“ Sem sah ihn fragend an und Harry schüttelte angesäuert den Kopf.
„Du wolltest genau wissen, was Sache ist. Also solltest du auch genau zuhören.“
Er strich sich über den blanken Schädel und versuchte seine Gedanken zu ordnen. „Dadurch, dass die Terrasse an vielen Stellen eingebrochen ist, bildet sie im Wasser eine Art Barriere. Bei Ebbe kommt man ohnehin nicht mit dem Boot an den Anleger, weil er in zwei Meter Höhe angebracht ist, und während der Flut sieht man die scharfkantigen Reste nicht. Man könnte einfach mit dem Boot in sie hineinfahren
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