Möwennest-Reihe Gesamtband (German Edition)
In Panik langte er mit beiden Händen nach hinten, bekam etwas zu fassen und riss es, noch während er weiter mehr stolperte als floh, nach vorn.
Als er endlich wieder im beleuchteten Bereich der Terrasse angelangt war, sah er, was er dort zwischen den Fingern hielt. Es war ein hässlicher alter schwarzer Vogel, eine Möwe. Sie zappelte wild und hackte mit dem spitzen Schnabel, krächzte und flatterte. Ari dachte gar nicht erst daran, das Biest loszulassen. Eher zufällig hatte er das Tier perfekt zu fassen bekommen, sodass es sich nicht mehr aus Aris Umklammerung befreien konnte, um mit seinem rasiermesserscharfen Schnabel weiteres Unheil anzurichten.
Nachdem Ari sich umgeschaut hatte und auch nach Minuten nichts von dem toten Mädchen zu sehen war, entspannte sich sein Körper langsam. Der Herzschlag beruhigte sich und er konnte wieder frei durchatmen. Die Möwe kämpfte immer noch. Erfolglos. Ihre Augen waren blutrot und es stach ein Zorn aus ihnen heraus, der von einer abgrundtiefen Boshaftigkeit herrührte.
Ari betrachtete sie eine Weile. Irgendwas an diesem Tier faszinierte ihn und es war nicht allein die Tatsache, dass es die erste schwarze Möwe war, die er in seinem Leben in die Finger bekommen hatte. Dieser Vogel war einzigartig, das stand ganz außer Frage und so verweigerte sich Ari Sklaaten der inneren Eingebung, die ihm dazu riet, dem Vogel das Genick zu brechen. Stattdessen ging er mit ihm ins Haus, schnappte sich eine verschließbare Weinkiste und sperrte ihn dort provisorisch ein.
So kam Ari Sklaaten an den ersten Vogel seiner Möwensammlung, denn so schrecklich und Angst erfüllend das Ereignis an diesem Abend war, so schnell hatte er dadurch eine Idee für den unbenutzten Bereich seines Restaurants gefunden. Meeuwenclub würde er diesen VIP-Bereich nennen und nur seine angesehensten Gäste würden ganz in der Nähe seiner Sammlung aus verschiedenen, seltenen und weniger seltenen Möwenarten speisen dürfen. Er würde eine Zusatzpauschale für dieses exklusive Recht verlangen, ein paar Hundert Gulden vielleicht. Dafür würde den Kunden nur das Beste gereicht werden. All diese Gedanken kamen ihm in dieser Nacht, nachdem er die schwarze Möwe erfolgreich eingesperrt hatte und er sie hilflos in der Kiste herumflattern und krächzen hörte.
Aber als er endlich die verrückten Einfälle beiseitegeschoben, sich darauf besonnen hatte klar und logisch zu denken, als er seine Gedanken endlich wieder geordnet und seine Nerven mit dem restlichen Wein beruhigt hatte, leuchtete ihm ein, dass er ein schwerwiegendes Problem hatte und dass er vermutlich ein schlimmer Fehler gewesen war, die Truhe einfach zuschütten zu lassen. Der Horror dieser Sandbank war so real, wie es jeder einzelne Balken, jeder Nagel, jeder Tisch und Stuhl seines neuen Restaurants und er würde nicht aufhören. Und das hieß, Ari musste eine Möglichkeit finden, diesen Spuk zu beseitigen. Fingerlose Kinder mit aufgerissenen Hälsen und aggressive Möwen mit todbringenden Schnäbeln waren schlecht für das Geschäft. Weil er nach der Aufregung der vergangenen Minuten nicht einmal ans Schlafen zu denken wagte, nahm er sich noch eine Flasche weißen Wein vor und wartete auf das Morgengrauen.
Am nächsten Tag begann Ari Sklaaten mit der Suche nach der Lösung. Der Lösung, die er Inga versprochen und schon als gefunden präsentiert hatte, aber so einfach würde es nicht werden.
Im Gegenteil, es sollte lange dauern, bis er sie fand und er bezahlte dafür einen teuren Preis.
kapitel 7
4. Juli 2012, Westenschouwen, Bloemenboutique Heemstedde
Harry Romdahl schaute in den Badezimmerspiegel. Er drehte den Kopf etwas nach oben und betrachtete die Striemen auf seinem Hals, tiefrot und blutig. Sein Nacken sandte ein brennendes Stechen aus, das zum Wahnsinnigwerden war. Der Wasserhahn lief. Harry hielt die Hände zur Schale zusammengelegt darunter und klatschte sich das kühle Nass ins Gesicht. Seine Augen waren gerötet und eigentlich war ihm gar nicht danach, das Badezimmer in den nächsten Stunden wieder zu verlassen. Er hatte wenig Lust, dem Mann, der ihn schon zum zweiten Mal in einer Woche hatte töten wollen, in die Augen zu schauen.
Es klopfte an der Tür.
„Harry? Alles in Ordnung bei dir? Er ist jetzt wieder wach. Er sagt, es tut ihm leid. Harry?“
Harry betrachtete erneut sein Spiegelbild. Unter Schmerzen neigte er den Kopf nach links und rechts. Das hier war alles ein Albtraum. Seit letzten Samstag dauerte dieser an
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