Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
nennt sich Leo, hierzulande die Bezeichnung für jenen Ort beim Fangenspielen, an dem man sicher ist und nicht abgeschlagen werden kann. Zwar haben wir nicht direkt mit den Erwachsenen in den anderen Stockwerken zu tun, und wenn wir etwas von »unten«, wie es heißt, erfahren, dann stammt es oft aus zweitem oder drittem Munde, wurde wiedergekäut in verschiedenen Sprachen, und was bei diesem mehrsprachigen Stille-Post-Spiel ankommt, ist mit Vorsicht zu genießen. Aber auch bei uns weiß man bereits über den Polizeieinsatz Bescheid, und am Frühstückstisch wird eifrig darüber diskutiert, ob Salva nun tatsächlich Drogen verkauft hat und ob man ihn wohl abschieben wird.
Ich will mich gerade vom Frühstückstisch erheben, um mich langsam auf den Weg zum Deutschkurs zu machen, als plötzlich Adolphe Mwenga aus dem zauberhaften Kongo in die Küche stürmt. Du musst putzen, Ali, stört er meine Kreise, du bist auf die Liste, Badezimmer und Klo. Erstens heißt es »auf der Liste«, korrigiere ich meinen schwarzen Bruder, und zweitens bin ich nicht in dieses Land gekommen, um Scheißhäuser zu putzen, es gibt andere, die das viel besser können als ich, die das gerne tun, weißt du. Alle müssen putzen, beharrt Adolphe, dann stürmt er aus dem Zimmer. Zwei Minuten später ist SIE da: Mira, mein Täubchen, begrüße ich sie.
Mira also. Mirela Obranović gehört, obwohl auch sie die Fremde in sich trägt, nicht zu den Wartenden im Haus. Sie ist einer von fünfundzwanzig Menschen, deren Aufgabe darin besteht, hundertdreißig anderen Menschen beim Warten zuzusehen. Was Miras konkreten Arbeitsbereich betrifft, gibt es gewisse Auffassungsunterschiede: Laut Heimleitung obliegt ihr zusammen mit vier Kolleginnen und Kollegen die Betreuung der UMF s; tatsächlich weilt sie natürlich einzig und allein für mich auf Erden, und sie ist, es gibt da gar keinen Zweifel, die schönste Frau auf diesem Planeten.
Ich bin nicht dein Täubchen, glaubt sie widersprechen zu müssen, und du solltest nicht mehr in der Küche, sondern im Bad beim Putzen sein. Kommt heute noch hoher Besuch, weil alle vom Putzen sprechen, frage ich. Du bist frech, Ali! Ach, nicht frecher als notwendig, gebe ich zurück. Ali, ich weiß, dass es dir nicht gut geht, sagt sie seufzend, dass du … Es geht mir blendend, unterbreche ich sie. Na, umso besser! Dann erinnere dich bitte an das, was wir bei deiner Ankunft besprochen haben: Es wird jeden Tag geputzt, es gibt eine Liste, und jeder kommt in regelmäßigen Abständen für die verschiedenen Dienste dran. Aha, jetzt sind wir also unter die Bürokraten gegangen. Nein, aber es gibt gewisse Regeln, die für das Zusammenleben notwendig sind und an die man sich zu halten hat. Ach, und jetzt werden wir autoritär … Sie spricht weiter auf mich ein, schließlich muss ich an das Wort vom Klügeren denken und gebe nach. Aber nur, weil du es bist, mein Täubchen, rufe ich ihr hinterher.
Und nun putze ich also, putze Fliesen, putze Spiegel, putze Klinken, putz’ und striegel’. Natürlich, es ist ganz klar, man lässt sich einfach ein paar Neger aus Afrika kommen, man hält sich eine Handvoll Nigger zum Putzen, wozu denn sonst, dazu sind sie ja schließlich da! Man gibt sich humanitär, aber dann kommt ja doch wieder die hässliche Fratze des Rassismus zum Vorschein. Aber müssen alle putzen, sagt Adolphe, der mit mir gemeinsam das Putztuch schwingt, wer soll sonst machen? Na, eine Putzfrau, sage ich. Wenn du hast Wohnung, sagt er, später, du hast auch kein Geld für ein Putzfrau. Ach, ihr seid ja alle schon gehirngewaschen, gehirngeputzt seid ihr! O Lord, stimme ich in den uralten Klagegesang meiner schwarzen Brüder und Schwestern ein, where art Thou who banisheth every sorrow and setteth free every slave, Thou who art the Redeemer of every soul, where art Thou to help me in this hour of darkness and despair! Die Ketten an meinen Fußgelenken rasseln, die Klomuschel seufzt, während Meister Proper und ich ihr den kühlen Leib polieren. Dir geht es doch noch gut, sagt sie zu mir, aber ich, ich sehe den ganzen Tag nur Ärsche! Morgens, mittags, abends, nachts – nichts als Ärsche! Große Ärsche, kleine Ärsche, schwarze Ärsche, weiße Ärsche – sei froh, dass dir dieses Leben erspart bleibt. O Lord, wende ich mich von diesem Elend ab und dem Spiegel über den beiden Waschbecken zu. Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Ärmste im ganzen Land, befrage ich mein blitzblankes Gegenüber, bereue es jedoch im
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