Mømø im Legøland
selbst um die Ecke und wie bewerkstelligen sie's — das Thema hat mich immer fasziniert. Als Unsterblicher kann man sich da leicht lustig machen.
Unter mythologischen Gestalten ist Freitod durchaus eine heldenhafte Haltung. Dann kamen die Philosophen: Die Stoiker und Epikureer hielten den Freitod für einen pflichtgemäßen Exitus aus einem Leben, das keinen Spaß mehr macht, im antiken Athen hatte die Stadtverwaltung sogar für jeden Bürger, der sein Leben beenden wollte, einen Giftvorrat parat, insofern war die schon gut hamburgisch.
Aristoteles, der seinen Macchiavell wieder nicht gelesen und deswegen auch nicht verstanden hatte, kapierte die Zusammenhänge nicht und geißelte den Freitod als unrecht wider den Staat, weil die Vernichtung eines nützlichen Bürgers den Staat schwächt, insofern war er natürlich ein Zyniker: Die »Selbstmorde« von Stammheim hätten ihm so oder so gepaßt.
Pythagoras meinte in all seiner Schlichtheit, der Freitod sei ein verbrechen gegen den willen der Götter. Der war also katholisch. Freitod zur höheren Ehre Gottes (Märtyrer, 33, SM, sucht Mitfahrgelegenheit) und zum Ruhme des Vaterlands (Konventioneller Rekrut, 18, sucht schmusige Nena) sind gestattete Ausnahmen. Priester und Soldaten dürfen, wenn sie wollen; bei ihnen gilt der Freitod als kalkuliertes Berufsrisiko. Dem Christentum ist alles menschliche Leben heilig, der Freitod steht auf einer Stufe mit Sterbehilfe und Abtreibung. Leider hat sich die Auffassung, eine sofortige Selbsttötung nach der Taufe garantiere einen sicheren Platz im Himmel, weil der Täufling ja keine Zeit zum Sündigen mehr gehabt habe, auf Dauer nicht durchsetzen lassen.
Beim Freitod, der auf persönlichen Motiven basiert, gibt's Putz. Ob schwere Erkrankung oder heilloser Liebeskummer — es wird gerettet, wer gerettet werden kann.
Vor noch nicht mal 125 Jahren, also 1860, ist in London im christlichen England eine makabre Geschichte passiert: Da hat sich ein Mann in selbstmörderischer Absicht die Kehle durchgeschnitten. Trotzdem wurde er »gerettet«.
Der Freitodversuch war ein mit der Todesstrafe bedrohtes Kriminaldelikt. Folgerichtig knüpfte der Henker den Unglücklichen an den Galgen. Der Arzt hatte noch davor gewarnt, aber nein...
Das unvermeidliche geschah: Die Halswunde brach auf, der Gehenkte kriegte wieder Luft. Da ließen die Ratsherren dem Pechvogel den Hals solange unterhalb der Wunde zuschnüren, bis er tot war. Das hat mich damals doch sehr erschüttert.
Zehn Jahre später haben die fortschrittlichen Engländer dann ihr Strafrecht entschärft: »Selbstmörder« kamen nur noch in den Knast. Aber da war das noch fortschrittlichere Preußen mit seinem Gottesgnadentum schon seit 130 Jahren so weit, seine Freitodkandidaten nicht mehr in den Knast, sondern nur noch in die Klapse zu stecken. Heute habt ihr zum Glück in Europa wieder einen echten Philosophen, der sich mit dem Thema auseinandersetzt: »Verehrte Friedensfreunde, spürt ihr nicht hinter der technologischen Maske unserer neuen Totentänze den Zauber einer uralten politischen Wahrheit: Freut euch des Lebens, solange das Lämpchen glüht, pflücket die Rose, eh sie verblüht...«
Glucksmann heißt er. Der kennt sich aus mit Diebstahl, Vergewaltigung und Mord — sowas kommt seiner Meinung nach nämlich aus der ursprünglichen Natur des Menschen und aus seiner inneren Bösartigkeit, und deswegen habt ihr nur die wähl zwischen einem atomar verflüssigten Universum oder einem weltweiten Gulag. Die Verflüssigung ist Glucksmann lieber. Also ab mit euch in den kollektiven Freitod.
Aber vorher noch das Gemeinschaftserlebnis der großen Gefahr genießen, die einem die Gelegenheit zu letztmöglicher Zärtlichkeit verschafft!
Weitere Fragen sind unzulässig. Es gibt kein Leben jenseits des Kapitalismus, basta.
15.
Am Ecktisch im »Klabberjas« sitzen trinkend und redend: Erni, der lispelnde Theoretiker von der Uni, wo er die Inis koordiniert; Heinzi, der wilde Pragmatiker, als Vertreter der Initiativen. Heinzi sagt: »Also Vertreter nicht direkt, ich bin erstmal nur für mich da, wir in den Bis lehnen bekanntlich das Stellvertreterprinzip ab.«
Dann Heidi, strickend, von »Lesben für den Frieden« und Gabi von der Tageszeitung; schließlich Mømø Laumann, völlig fertig.
Wir warten auf Volki, den Anwalt.
Erni sagt: »Dieser Ehrgeiz, gesund zu sterben, ist einfach lächerlich.« Heinzi antwortet: »Ich rauche nicht deswegen nicht, weil ich Schiß um meine Gesundheit
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