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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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in ein Erdbeben. Abul Hassan Ali verkündete, er würde sie zu seiner zweiten Gemahlin machen. Seine Ratgeber, Hauptleute, Freunde protestierten, und das Volk schrie auf den Straßen von Granada: »Tod der fremden Frau!« Der Koran gestattete einem Mann zwar vier legitime Frauen, doch seit den ersten Jahrzehnten nach der Eroberung von al Andalus hatte kein Herrscher eine Christin, selbst wenn sie sich zum rechten Glauben bekannte, zu seiner Frau gemacht. Zu seiner Konkubine, ja - als Sklavinnen waren die Kastilierinnen sogar recht begehrt -, aber niemals zu seiner rechtmäßigen Gemahlin.
    Ali tat es, gegen alle Ratschläge und Drohungen.
    Ein Jahr später brachte seine neue Gemahlin Zwillinge zur Welt, ein Mädchen und einen Jungen. Er ließ sie den Namen für ihre Kinder wählen, und um ihm zu gefallen, wählte sie zwei Namen aus der arabischen Geschichte: Tariq und Layla. Als Alscha davon hörte, lachte sie verächtlich. »Tariq, in der Tat«, sagte sie. »Die Christin will ihren Sohn also nach dem Eroberer von al Andalus nennen? Weiß sie nicht, dass der arme Tariq ein Freigelassener war und für seine Eroberung nur Undank von seinem Kalifen erntete? Wahrlich, ein gutes Vorzeichen für einen Sohn. Und Layla? Will sie, dass die Freier ihrer Tochter wahnsinnig vor Liebe werden und sich umbringen, wie der arme Narr, der diese rührseligen Gedichte auf Layla schrieb?«
    Es dauerte nicht lange, bis diese Äußerungen Isabel hinterbracht wurden, und sie schlug sofort zurück. »Merkwürdig ist es«, sagte sie, »dass Alscha al Hurra sich solche Sorgen um die Namen meiner Kinder und so wenig um die Namen ihres eigenen macht. Waren Abdallah und Muhammad nicht die Namen zweier Fürsten, die abgesetzt wurden und ihre Tage im Elend beschlossen, im Gefängnis?«
    Alscha war zunächst sprachlos über so viel Frechheit, doch dann machte sie sich zum ersten Mal Sorgen. Was, wenn die Christin mit ihrer Äußerung über die entthronten Fürsten mehr im Sinn hatte als nur einen Schlagabtausch? Sie ließ erkunden, wann Zoraya die Gärten besuchte, und erschien zur selben Zeit.
    Die Sommermonate mit ihrer erbarmungslosen Hitze, die sich wie eine Schlinge um den Hals der Menschen legte, hatten den Hof schon längst veranlasst, in die Sommerpaläste des Generalife umzuziehen. Der Generalife war ein Bestandteil der riesigen roten Festung, die über Granada regierte, aber in diesem Teil der Alhambra huldigten die wenigen Gebäude, die es gab, nur den Pflanzen und dem Wasser. Das Geländer der Treppe, an der sich die Gemahlinnen des Emirs trafen, bestand aus einer hohlen Rinne, die das Wasser aus den Bergen in die tiefer gelegenen Becken des Generalife leitete. Um den Hof, zu dem diese Treppe führte, hatte man ein Labyrinth aus Sträuchern angelegt, sodass Alscha und ihre Rivalin nahezu ungestört waren.
    Isabel, der Alschas Fragen nicht verborgen geblieben waren, hatte sich entschlossen, nichts dem Zufall zu überlassen, und trug ihren Sohn Tariq auf dem Arm; die Amme der Zwillinge, Fatima, folgte ihr mit dem Mädchen Layla und schrak unwillkürlich zusammen, als sie Alscha gewahrte, obwohl man die Sejidah erwartet hatte. Alscha, Tochter eines Emirs (selbst wenn dieser nicht weniger als viermal entthront worden war) und Gemahlin eines Emirs, neigte mit ihren markanten Zügen und ihrer großen, stattlichen Erscheinung dazu, die Menschen selbst dann einzuschüchtern, wenn sie es nicht darauf anlegte.
    Isabel de Solis, kleiner, zierlicher, vor allem aber jünger, spürte die gebieterische Ausstrahlung der Frau sehr wohl, doch sie hatte nicht die Absicht, sich noch einmal vor Alscha zu demütigen.
    Sie nahm die Gegenwart der Älteren nur mit einem kurzen Nicken zur Kenntnis. Die Zeiten, in denen sie sich vor Alscha - oder überhaupt jemandem - hatte verbeugen müssen, waren vorbei.
    Alscha warf einen eisigen Blick auf die Kinder. »Zwillinge«, sagte sie laut und deutlich, »gelten bei uns als Unglücksbringer.
    Sie leben meist nicht sehr lange.«
    Die Amme Fatima konnte einen erschrockenen Ausruf nicht unterdrücken. Isabel stand sehr still. Dann hob sie das Kinn und sah Alscha direkt in die Augen.
    »Es ist Euer Sohn, Sejidah, nicht meiner«, entgegnete sie ebenso klar, »von dem es heißt, dass er Granada zu Fall bringen würde. Vielleicht wäre es gut, wenn er nie auf den Thron kä me.« Kein Laut kam von Fatima oder Alschas Gefolge. Die beiden Frauen standen da, in der Nachmittagssonne, und rührten sich nicht. Sie schauten einander

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