Mondlaub
nur an, endlos. Beide hatten verstanden, was gesagt worden war. Es war Alscha, die sich zuerst abwandte.
»Hütet Eure Schritte«, sagte sie und ging. Isabel de Solis blieb an jenem Nachmittag noch lange in den Gärten. Als sie in den Palast zurückkehrte, begann sie mit ihrem Feldzug, um Tariq an die Stelle Muhammads zu setzen.
Die Zwillinge wussten nichts von den Weissagungen oder Prophezeiungen, als sie anfingen, sich ihrer Umgebung bewusst zu werden, nichts von Ibn Sinas naturwissenschaftlicher Skepsis noch von den Gerüchten, die besagten, dass Alschas Sohn Muhammad laut seinem Geburtshoroskop der letzte Emir von Granada sein würde. Sie wussten zunächst überhaupt nichts von einer Welt außerhalb der roten Festung; denn die Alhambra war groß genug, um in sich Moscheen, Friedhöfe, Bäder, Schulen und Bibliotheken zu bergen. Es bestand gar keine Notwendigkeit, die Stadt zu betreten.
Für Layla, die eher als Tariq begann, den Dingen einen Namen zu geben, war die kühle Eleganz der Säulenhöfe lange das, was die Amme als »Paradies« und »Sitz Allahs« bezeichnete, und es bereitete ihr Schwierigkeiten, sich Wälder vorzustellen, die nicht mit Springbrunnen und allgegenwärtigen Wasserbecken zu einer einzigartigen Landschaft aus Pflanzen und Steinen verschmolzen. Lediglich die Berge der Sierra Nevada überragten die Alhambra und erschienen ihr wie unbekannte, geheimnisvolle Riesen, die sie nicht einordnen konnte. Zunächst glaubte sie, es handle sich um die Dschinn oder Ifrits aus Fatimas Geschichten, und als man ihr sagte, dass es sich dabei um ähnliche Orte handelte wie der rote Hügel, auf dem die Alhambra stand, nur eben höher, empfand sie ein Gemisch aus Neugier und Furcht. Von da an wartete sie darauf, dass etwas aus den Bergen kommen würde.
Don Juan de Vera, der im Auftrag seiner jungen Königin kam, um den jährlichen Tribut einzufordern, wünschte sich überallhin, nur nicht in die Halle der Botschafter, wo ihn Abul Hassan Ali empfing. Ein Blick hatte genügt, um in ihm den Mann wieder zu erkennen, der ihm Vorjahren in den Wäldern begegnet war. Seine Kleidung erschien ihm plötzlich zu schwer für die Jahreszeit und die Gegend, er begann zu schwitzen und heftete seinen Blick starr auf die prächtige Decke über Abul Hassan Ali, während er mit monotoner Stimme seine Forderung überbrachte. Es wäre mir, dachte Don Juan, tausendmal lieber gewesen, der Königin meine Treue auf dem Schlachtfeld zu beweisen. Don Juan de Vera gehörte zu den Granden, die nicht unglücklich waren, dass nach dem Tod König Enriques ein Bürgerkrieg zwischen den Parteien der Tochter des Königs, Juana, und der Schwester des Königs, Isabella, ausgebrochen war. Die Gelegenheit zum Austragen längst überfälliger Fehden war nie günstiger gewesen, und de Vera hatte sich schon deshalb für die Seite Isabellas entschieden, weil es dabei auch gegen seine Intimfeinde, die Familie Ponce de Leon, ging. Doch statt sich mit Rodrigo Ponce de Leon schlagen zu können, sah er sich gezwungen, zu den Ungläubigen nach Granada zu gehen und höflich zu erbitten, was der Krone von Rechts wegen zustand. Und was Königin Isabella und ihr Gemahl, der aragonische Thronfolger Fernando, zurzeit dringender denn je benötigten.
Alis Miene blieb ruhig und undurchdringlich. Er hörte sich die Rede des Botschafters an und schwieg, als de Vera schließlich stockte. Die plötzliche Ruhe in der großen Halle irritierte den Ritter. Er sah sich gezwungen, seine Augen von den filigranen Gittern abzuwenden und Ali direkt anzuschauen.
»Das… hm… das wäre alles, Hoheit«, äußerte er endlich unbehaglich.
Ein dünnes Lächeln ohne die geringste Heiterkeit umspielte Alis Lippen. »Gut«, erwiderte er. »Dann richtet Euren Herrschern aus, dass die Emire von Granada, die Tribute an die kastilische Krone zahlten, tot sind. Gegenwärtig kommen aus unseren Prägeanstalten keine Münzen, sondern Klingen und Lanzenspitzen.«
Don Juan de Vera erstarrte. Die Hitze des Tages schien sich in Eis verwandelt zu haben. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich wirklich hilflos, und er hasste dieses Gefühl, hasste den ungläubigen Hund, der es ihm vermittelte. Es war ihm völlig klar, was Alis Antwort bedeutete; und ebenso klar war, dass man im Moment nichts dagegen tun konnte. Seit Erzbischof Carillo sich auf die Seite Juanas geschlagen hatte, sah es um Isabellas Sache nicht gut aus. Die Königin brauchte das Geld aus Granada, aber sie konnte es sich
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