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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Kastilier war irritiert. Er schaute unsicher von dem lächelnden Ali zu dem irgendwie bedrohlich wirkenden al Zaghal. Einige der arabischen Treiber waren inzwischen zurückgekehrt und lösten sich aus dem Gebüsch, was das Mehrheitsverhältnis ein wenig veränderte. Alis Lächeln vertiefte sich, und plötzlich beschloss Don Juan de Vera, Abkömmling edlen kastilischen Geblüts, dass es sich nicht lohnte, mit einer Hand voll Heiden jenseits der Grenze einen Streit mit Ungewissem Ausgang vom Zaun zu brechen. Er nickte seinen Begleitern zu, machte kehrt und ritt ohne ein weiteres Wort davon.
    Al Zaghal lehnte sich in seinem Sattel zurück und lachte. Er lachte noch, als Ali ruhig aufs Neue seinen Falken auf den Handschuh nahm und die Haube löste.
    »Erinnere dich immer daran, Neffe«, keuchte er, als er wieder zu Atem gekommen war, »so riecht der Angstschweiß der Christen!«
    Der Rest des Tages verging ohne weitere Störungen. Sie jagten, genossen den Frühling Granadas, und als sie am Abend in die Alhambra zurückkehrten, müde und zufrieden, dachte Muhammad nicht mehr an den Zwischenfall. Er nahm ein Bad, speiste mit seiner Mutter, der Sejidah Alscha, konnte es nicht unterlassen, vor einigen seiner jüngeren Halbgeschwister mit den Heldentaten seines Falken zu prahlen, und ging dann rundherum glücklich ins Bett.

    Meilen entfernt, in der Stadt Baza, bereitete sich an diesem Abend ein Mädchen ebenfalls auf den Schlaf vor. Sie war nur zwei Jahre älter als Muhammad, lebte seit etwa eineinhalb Jahren fern ihrer Heimat und war eine Sklavin. Als Tochter eines Granden, des Don Sancho Ximenes de Solis, hatte sie seit ihrer Entführung ihre wechselnden Herren immer wieder beschworen, sie nicht zu verkaufen, sondern ihren Vater um Lösegeld zu bitten. »Er wird bezahlen, was immer Ihr verlangt«, hatte sie gefleht; sie hatte abwechselnd gebettelt und mit seiner Rache gedroht. Doch allmählich fing sie an zu begreifen, dass es keine Rolle mehr spielte, dass sie Isabel de Solis war, Nachfahrin einer langen Reihe von kastilischen Edelleuten. Sie hätte genauso gut ein Bauernmädchen sein können, seit jenem Herbsttag, an dem einer der abenteuerlichen Sklavenhändler Granadas wieder einmal einen Streifzug über die Grenze unternommen hatte.
    Isabel war mit den Geschichten über die blutrünstigen Heiden aufgewachsen, hatte ihren Vater immer wieder sagen hören, dass es die Pflicht jedes Christen sei, sie zu vernichten, und dass der König nie hätte Frieden mit ihnen schließen dürfen. Aber niemand hatte sie darauf vorbereitet, dass sie den Schreckgespenstern ihrer Kindheit in die Hände fallen könnte. In all den Liedern über den Cid Campeador und seine heroischen Kämpfe gegen die Mauren war nie erwähnt worden, welches Schicksal die Prinzessinnen erwartete, die nicht aus ihren Türmen gerettet wurden. Nun, Isabel hatte es herausgefunden.

    Ihr derzeitiger Herr, der dritte bereits, war ein Eunuch, was Isabel zuerst zu einem Dankgebet veranlasst hatte, bevor sie entdecken musste, dass auch Eunuchen Mittel und Wege finden konnten, um sich zu befriedigen. Gestern hatte er angekündigt, dass er Isabel weiterverkaufen würde, »möglicherweise an einen großen Herrn«, wie er geheimnisvoll bemerkte. Das hatte Isabel aus der Apathie gerissen, in die sie seit einiger Zeit wieder verfallen war, und sie zu einem letzten verzweifelten Appell veranlasst, doch bitte ihren Vater zu benachrichtigen. Sie hatte seither nichts mehr gegessen; ausgehungert, dachte sie, konnte man sie nicht weiterverkaufen, und der Eunuch misshandelte sie zumindest nicht; wer konnte wissen, was nach ihm kommen mochte. Sie schrak auf, als die Tür zu dem kleinen Raum sich öffnete, in den man sie ihrer Halsstarrigkeit wegen gesperrt hatte. Es war ihr Herr; er stand im Türeingang und betrachtete sie stumm. »Habt Ihr an meinen Vater geschrieben?«, fragte sie mit zitternder Stimme, vergeblich bemüht, sie fest klingen zu lassen.
    Der Eunuch seufzte und setzte sich zu ihr, ohne sie zu berühren.
    »Törichtes Mädchen«, sagte er. Seine Stimme klang noch nicht einmal unangenehm, sondern melodisch und schwingend.
    »Glaubst du denn, dein Vater möchte dich zurückhaben - so, wie du jetzt bist? Sofort nach deiner Entführung, ja; aber welcher Mann mit etwas Stolz will zugeben, dass man seine Tochter zur Hure gemacht hat?«
    Er sprach sachlich, ohne Schärfe. »Allah weiß, wenn die Narren, die dich gefangen hatten, in meinen Diensten gestanden wären, sie

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