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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grünschnabel
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Dann geh ich raus. Setz dich hin, sonst fällst du um.
    – Sag mir nicht, was ich zu tun habe. Nicht in meinem Alter.
    Mein Vater stellte sich neben mich.
    – Jammerschade, ich habe das Rauchen vor mehr als zehn Jahren aufgegeben. Jetzt eine Zigarette, was gäbe ich um eine Zigarette . – Was ist?
    – Ich kann nicht. Scheißprostata!
    – Dann lass es eben bleiben. Wir fahren.
    – Meinetwegen.
    Im Auto pinkelte Tat in die Hosen, und meine Mutter hätte ihn gern nass ins Bett gebracht, sie wischte die toten Fliegen von der Bettdecke und konnte sich beim Weinen gar nicht mehr einkriegen, selbst Tat schwieg betreten und drehte sich zur Wand.
    Ich fragte, was Prostata ist, und mein Vater antwortete müde:
    – Ein Organ.
    Das war etwas mager, fand ich, aber ich hatte ja gesehen, was ist, wenn Prostata ist. Ich schrieb auf einen Zettel:
    PROSTATA: macht Männern Ärger, macht Frauen traurig.
    – Es ist so still, seit er nicht mehr bei uns ist, sagte ich zu Schneewittchen. Tat hat uns wirklich auf Trab gehalten, sagt die Blondierte. Sie sagt, dass er ein bisschen wie die freie Wildbahn ist, die sie sonst nur aus dem Fernsehen kennt. Wir sind nun Stadtgespräch, sagt sie. Andere Leute werfen nicht mit Beinen, wenn sie wütend sind. Es ist etwas Besonderes. Tat ist etwas Besonderes.
    Ich wollte gegen den Gartenzaun treten, ließ es aber bleiben, weil Oskar schlief.
    – Tat hat gut reden: Als ob es nicht schon schwer genug wäre, mich auf dem Laufenden zu halten, was Milena angeht, aber ihn auf dem Laufenden zu halten, ist am Telefon unmöglich. Immer steht einer dabei, ist ungeduldig, nimmt mir den Hörer aus der Hand, will etwas sagen, muss noch etwas wissen. Will wissen, wie viel Schnee liegt, ob Tat noch Holz im Haus hat, ob Onkel Curdin nach ihm schaut und Holz bringt, ob die Nachbarin heute vorbeikommen kann oder erst morgen. Oder will nachfragen, ob Tat auch aufsteht, ob er sich die Beine anzieht, ob er herumgeht, ob er sich etwas kocht, nicht nur Polenta, will sagen, dass er nicht vergessen darf, die alte Polenta den Katzen zu geben, wenn er sich neue kocht. Milena kann nicht ewig im Schrank bleiben, sagt Tat, und Tat kann nicht ewig in den Bergen bleiben. Meine Mutter sagt, dass er in ein Heim ziehen muss, weil er es nicht mehr allein schafft. Tat sagt, dass er nirgendwohin zieht. Henry und Silvester haben angeboten, sich in Afrika bei ihren Verwandten nach einer Medizin für Tat umzusehen, weil sie sagen, in ihm wohnen mehrere, und das macht sein Leben kompliziert. Sie wollten ihn in den Bergen besuchen, aber mein Vater hat sie gebeten, es bleiben zu lassen. Wo wir uns schon mit dem einen Gott nicht gut verstehen, will er nicht noch wer weiß wie viele andere hinzuziehen, er sagt, zu viele Köche verderben den Brei.
    Wir besuchten Tat nicht mehr so oft, obwohl mein Vater darauf drängte, weil ihm nicht mehr so viel Zeit bleiben würde in den Bergen, bevor er sich in den Himmel aufmachte, davon war mein Vater überzeugt. Waren wir bei ihm, schwieg er fast den ganzen Tag, er warf nicht mehr mit Sachen um sich. Im Gegenteil: Er befühlte seinen frisch angestrickten Ärmel der Wolljacke und nickte meiner Mutter zu, und selbst wenn wir ihn in den Garten brachten, blieb er dort sitzen und verzog keine Miene, als würde er ihn nichts mehr angehen, und wenn ihn mein Vater fragte, ob er etwas brauche, sagte er:
    – Ich habe alles.
    Nur der Pflaumenbaum fehlte ihm. Ich drehte den Stuhl weg von seinem Strunk, er machte ihn traurig, Tränen glänzten in seinem Schnurrbart. Einmal bat er mich, ihn hinzubringen, damit er ihn anfassen konnte, zu zweit würden wir das schaffen. Tat war fast so leicht wie Schneewittchen, seine Beine wackelten in den Stümpfen, und wöchentlich musste mein Vater ihn am Telefon daran erinnern, sie neu anpassen zu lassen, weil er schrumpfte und immer kleiner wurde und magerer. Er vergaß es. Er vergaß, seine Toscani im Mund anzuzünden, lutschte sie feucht, er lutschte sie nass, bis sie ihm von den Lippen bröselten. Er war so vergesslich, dass ihm auch meine Mutter und mein Vater nicht mehr einfielen, wenn sie neben seinem Bett standen, mit ihm redeten, die Kissen aufklopften, Essen hin- und hertrugen, Decken brachten oder weglegten, die Fenster öffneten oder schlossen, er blinzelte sie misstrauisch an. Bloß die Nachbarin konnte kommen, wann sie wollte, er rief ihren Namen und strahlte übers ganze Gesicht. Manchmal strahlte er auch, wenn der Postbote kam–, und rief den Namen der

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