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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grünschnabel
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auf, ich hörte sie kauen.
    – Mit Karamellüberzug.
    Die Tüte raschelte wieder, das Popcorn quietschte auf ihren Zähnen. Sie schwieg, und ich wusste nicht weiter. Ich malte mit dem Finger die Muster im Holz nach.
    – Kann ich dich sehen?
    Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, sie blinzelte mich an.
    – Du kannst doch nicht ewig dadrin bleiben.
    – Das sagt mein Vater auch.
    Sie redete mit vollem Mund.
    – Er denkt oft darüber nach.
    – Und?
    – Er weiß noch nicht weiter.
    – Du sprichst besser deutsch.
    – Ich lerne es auswendig wie den Himmel.
    – Sterne, die eigentlich Sonnen sind.
    – Genau.
    – KOSMOS.
    – Haargenau.
    – Er ist nicht zu Ende erforscht, sagt der Lehrer. Du kannst ihn nicht auswendig lernen.
    Mili musterte mich. Sie knüllte die leere Packung zusammen und stieß die Tür auf.
    – Hast du mit jemandem geredet?
    – Nein, gar nicht.
    Ich nahm ihr die leere Packung aus der Hand und steckte sie in die Tasche. Dass Tat und Schneewittchen Bescheid wussten, konnte ich ihr unmöglich sagen. Ich klaubte Popcornkrümel zusammen.
    – Du hast mit dem Lehrer geredet.
    – Hab ich nicht. In der Schule ist der Himmel Thema.
    Das war nicht gelogen. Der Lehrer hatte eine riesige blaue Karte aufgerollt mit Sternbildern. Vor Weihnachten hätten wir einen Luchs am Himmel sehen können, an Neujahr einen großen Hund, dann ein Einhorn und bald darauf einen Schiffskompass, den allerdings nur mit viel Mühe. Den Drachen und den Großen Bären könnten wir immer sehen, hatte der Lehrer gesagt, immer, wenn wir wollten.
    – Du hast doch keine Ahnung.
    – Hab ich doch. Außerdem, sagte ich, gibt’s Sonnen längst elektrisch.
    – Du lügst.
    – Tu ich nicht.
    – Tust du doch.
    – Wir haben aber eine. In leuchtend Orange.
    Mili fauchte, das ist Quatsch, und ich antwortete, dass es die Wahrheit ist, dass sich meine Mutter in der Elektrosonne mindestens einmal die Woche verbrennt und dann fünf Tage krebsrot ist im Gesicht und zwei Tage eine gute Farbe hat, auch ganz ohne Himmel, und sie brüllte:
    – Das glaub ich nicht.
    – Und wenn schon, brüllte ich zurück, ich hole sie, ich zeig sie dir, du musst sogar eine Brille aufsetzen, du kriegst einen Sonnenbrand wie in den Bergen, original Schweizer Sonne wie im April vor dem Haus vom strengen Onkel Curdin, sagt mein Vater. Sogar er setzt sich davor, wenn er Heimweh hat.
    Wir waren froh um jeden, der nicht wusste, dass ich aus dem Heim war und meine Eltern kinderlos, ich ein Bastard und meine Eltern naiv, ich ohne Stammbaum und mit einer Menge Akten, sie verzweifelt und ich ein hoffnungsloser Fall, unser Verhältnis in jedem Fall ein ziemliches Ding war und vor allem eins: eine einzige Tragödie. Tante Joujou hatte dafür gesorgt, dass alle bis in die Churfirsten und nach Frankreich Bescheid wussten und die ganze Stadt zumindest einen Schimmer davon hatte.
    Mili hörte nicht auf zu glotzen.
    – Was ist jetzt? Ich will sie sehen.
    – Kannst du haben.
    Ich knallte die Tür hinter mir zu und rannte in den Keller, die sollte sich wundern. Ich nahm alle Kabel mit, die ich finden konnte, klemmte die Höhensonne unter den Arm, nahm zwei Tritte auf einmal, schoss in die Wohnung und ins Schlafzimmer, zog die Vorhänge zu und pflanzte die Höhensonne vor ihr auf. Ich steckte die Kabel zusammen, klappte den Kasten auf, und Mili zuckte mit den Achseln, maulte:
    – Groß ist sie nicht.
    – Schon, sagte ich, aber sie macht alles violett.
    Ich kippte den Schalter um. Sie nahm Tonis Sonnenbrille vom Nachttisch und setzte sie auf, wir setzten uns davor, das Zimmer war violett, ich blinzelte, sagte, mach die Augen zu, ich zog das Gummiband mit der roten Brille über den Kopf, und als wir die Augen schlossen, war es letzter April und wir saßen beim strengen Onkel Curdin vor dem Haus, nur diesmal zu zweit, während mein Vater und er sich in der Küche unterhielten und ich beim bloßen Gedanken daran wieder einen heißen Kopf bekam.
    Onkel Curdin nimmt meinen Vater ins Gebet.
    – Weshalb hast du eine Frau nach Hause gebracht, die keine Kinder haben kann?
    – Wir haben ein Kind.
    – Ach was, einen Fremdling habt ihr.
    – Ach ja? Und die Leute, die du im Krieg versteckt hast wie Kartoffelsäcke?
    Onkel Curdins Zigarrenrauch kriecht zu uns heraus und kitzelt mich in der Nase. Ich höre ihn auf und ab gehen, und Onkel Curdin sagt:
    – Das ist lange her.
    – Ich erinnere mich aber.
    – Du weißt davon?
    – Natürlich weiß ich es. Für wie blöd hast du uns

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