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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grünschnabel
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und hatte nie jemanden an seinen Kopf gelassen außer der Tatta, die tot war und deshalb etwas unpässlich, wie Madame Jelisaweta das nannte.
    Meine Eltern gingen Kaffee trinken, und Tat machte mit ihr ein Einstellungsgespräch.
    – Sie wollen mich loswerden.
    – Kann ich mir nicht vorstellen.
    – Ich mach mir die Hosen voll.
    – Kann ich mir nicht vorstellen.
    – Ich bin verrückt.
    – Kann ich mir auch nicht vorstellen.
    – Die sich schon. Ich vergesse alles.
    – Kann gut sein.
    – Auch dich vergesse ich. Wenn ich hier raus bin, vergesse ich dich.
    – Schon möglich. Schade allerdings.
    – Ja, schade. Sehr schade. Ich hatte einen Pflaumenbaum.
    – Mit kleinen, festen Früchten?
    – Allerdings.
    – Ich hatte auch einen, eigentlich zwei.
    – Was ist mit ihnen passiert?
    – Der Krieg hat ihn ausgerissen. Den meines Vaters.
    – Und den andern?
    – Hat Tito auf dem Gewissen.
    – Wie das?
    – Man kann nicht nur von Pflaumen leben. Ich musste weg.
    – Ich könnte nur von Pflaumen leben.
    – In deinem Alter schon. Ich war jung. Ich brauchte mehr zum Leben. Hatte eine Zukunft im Kopf, Kinder, was Besseres. Sicherheit.
    – Und?
    Madama Jelisaweta zuckte mit den Schultern.
    – Sieh dich um.
    – Ich könnte auch in meinem Alter nicht mehr.
    – Was?
    – Von Pflaumen leben.
    – Ja, was jetzt?
    – Sie haben den Baum gefällt. Ich hätte gern noch einen Herbst von den Pflaumen gelebt.
    – Und den Rest des Jahres?
    – Von der Nachbarin. Sie ist heute noch schön, die Tatta ist ganz eifersüchtig.
    Ich hörte auf, so zu tun, als würde ich noch Haare zusammenkehren.
    – Die Tatta wohnt am andern Ufer vom Fluss Jordan. Kann nicht weit sein von seinem Haus. Tat will eine Schiffsfahrt mit ihr machen.
    – Verstehe.
    – Grünschnabel hat’s faustdick hinter den Ohren.
    – Und wo sind deine Beine geblieben?
    – Sind schon bei der Tatta. Sie möchte nicht, dass ich noch zu große Sprünge mache. Ich kann ganz schön wild sein, weißt du.
    – Er hatte einen Unfall mit dem Motorrad und dann noch einen mit dem Rauchen.
    – Verstehe.
    – Was für ein Grünschnabel!
    – Wie heißt du eigentlich?
    – Tat. Tat Jon. Kannst du jetzt endlich anfangen? Kurz, ganz kurz. Ich will die Sonne auf der Haut spüren.
    Draußen wartete der Toyota, und Madame Jelisaweta half Tat hinaus, sie hatte ihn auch rasiert und schwärmte von seinem Haar: eine Pracht. Voll und weiß, und das in diesem Alter: beinahe so rar wie ein gutes Herz.
    Tat benahm sich fast die ganze Fahrt über anständig. Erst streichelte er auf der Ablage den Wackeldackel, der ihn an Sepp erinnerte, stellte das Schälchen Oliven vorsichtig hin, das ihm Madame Jelisaweta mitgegeben hatte, und redete ohne Unterlass von ihr.
    – Sie hat mir die Haare gemacht, auch die im Gesicht.
    Er strich sich über den gestutzten Schnurrbart und die glatten Wangen.
    – Wie ein Mädchen, fühl mal, wie ein Mädchen.
    Er war ruhig, wenn ich ihm über die Wange strich. Ließ ich es bleiben sagte er wieder:
    – Fühl mal, so fühl doch, wie ein Mädchen.
    Ich ließ die Hand auf seiner Wange liegen und schlief ein, er schlief ein, erwachte, wurde unruhig und begann von dieser Frau zu erzählen, die ein ganz schöner Kracher war, ein Naturereignis fast wie die Nachbarin, von der Tatta ganz zu schweigen. Er fasste sich an den Kopf, schön, sagte er, schön hat sie das gemacht, schön: Die Sonne kann kommen. Er rief:
    – Ich muss mal!
    Meine Mutter hatte sich bis über die Ohren in ihrer Kaninchenfelljacke verschanzt und kaute an ihren Nägeln.
    – Ich muss dringend. Seid ihr taub?
    Mein Vater bremste bei der nächsten Tankstelle so scharf, dass es Oliven regnete und der Wackeldackel gegen die Windschutzscheibe knallte, er riss die Tür auf und hob Tat aus dem Auto. Er stellte ihn auf die Beine und trieb ihn zum Klo. Ich wartete vor der Tür, während Tat meinen Vater drinnen anschrie.
    – Du hättest etwas dagegen tun können.
    – Wogegen, zum Kuckuck? Du bist heute wieder unmöglich. Hosen runter!
    – Sie hätten ihn nicht fällen dürfen. Nicht den Pflaumenbaum.
    – Er trug nicht einmal mehr.
    – Klar trug er. Und wie. Bäume haben Ruhejahre, du Städter. Ihn im Schlaf zu erschlagen. Ihr habt ihn im Schlaf erschlagen!
    – Was willst du überhaupt?
    – Ich will nach Hause.
    – Da bringen wir dich doch hin. Mach mir nicht alle verrückt, hörst du? Mach mir nicht auch noch die Kleine verrückt . – Was ist jetzt?
    – Ich kann nicht, wenn du dabeistehst.
    –

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