Monica Cantieni
Nachbarin, er tat es immer wieder, auch wenn meine Mutter kam, und als sie beleidigt das Zimmer verliess, sagte ich ihm, dass er sich irrt, dass das eben meine Mutter war, die ihm einen Topf voller gelber Blumen gebracht hatte und immerhin klare Suppe, die ihn wieder auf Vordermann bringen sollte, und er nahm den Teller, aß langsam ein paar Löffel Suppe, goss den Rest in den Blumentopf und fragte:
– Wie geht es Milena?
– Sie ist blass, und sie lernt den Himmel auswendig.
Er sah mich fragend an.
– Sie sagt, der Pfarrer sagt, dass man mit ihm einfach mehr Möglichkeiten hat, dass der Himmel größer ist und tiefer in alles hineinreicht, als man glaubt, jedes Meer dagegen eine Pfütze ist, der Marianengraben ein Kratzer auf einer Oberfläche und der Kopf und das, was er denken kann, eine Stecknadel, ein Nichts im Vergleich.
– Das ist Ansichtssache.
– Außerdem, sagt sie, findet sie sich dann besser zurecht, wenn sie später selber hinmuss.
– Das ist ein Argument.
– Sie sagt, sie kann nicht in die Kirche, weil sie nirgendwohin kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt, sie sagt, Toni geht stattdessen für zwei. In der Zeit kann sie den Himmel auswendig lernen. Sie weiß jetzt schon, sagt sie, wie der Himmel gebaut ist, wo was steht, dass es dort Sonnen gibt wie Sand am Meer und Nebel, dass der Himmel sich mit Gas heizt, mit Unmengen davon, und dass er doch nicht warm zu kriegen ist, weil einfach zu groß, so groß, dass sich dort selbst Riesen gegenseitig nicht auf die Zehen treten. Es gibt nämlich nebst Braunen Zwergen auch Blaue Riesen, sagt Mili, sagt ihr Lexikon, und Weiße und Rote, die ein sehr heißes Herz haben, dem aber kein Forscher traut, der bei Trost ist, weil so ein Herz nicht verlässlich ist. Sie sagt, ihr Lexikon sagt, dass das Licht einer Sonne noch am Leben sein kann, selbst wenn die Sonne schon tot ist, weil die Sonne so weit von uns entfernt ist und ihr Licht immer noch unterwegs zu uns.
Tat begann zu weinen. Ich schüttelte ihn am Arm.
– Es ist keine traurige Geschichte. Es ist gar keine Geschichte. Ich habe nichts erfunden. Es ist alles aus einem sehr großen Lexikon, und der Lehrer hat mir das mit dem Himmel bestätigt. Mili nennt ihn KOSMOS, auch das ist richtig, zumindest nicht falsch, sagt der Lehrer. KOSMOS kann auch ein Wort sein für ALLES. Aus Tats Schnauzer tropften die Tränen auf die Wolljacke.
– Willst du das Bild der Tatta haben?
Er schüttelte den Kopf.
– Soll ich dir Milch mit Honig bringen?
Nickend fasste er nach seinem riesigen Taschentuch unter dem Kopfkissen und schnäuzte sich. Als ich zurückkam, lag er schlafend da, seine Zähne und Beine neben sich auf der Bettdecke.
Etwas platzte auf …
E TWAS PLATZTE AUF DER Straße, war vom Himmel auf den Asphalt gefallen, es krachte, dass die Scheiben klirrten und Kitt auf den Boden bröselte. Durchs Fenster glänzte die Straße, die Bäume wackelten mit den Spitzen und schwankten. Was für ein Wind. Ein Lastwagen stand quer. Der Bäcker versuchte aus seinem neuen roten Auto auszusteigen, das gar nicht aufhören wollte zu hupen. Es war fast nur noch halb so lang und dampfte. Zwei Männer rissen an der Tür, und der Bäcker stieg aus, fiel hin, stand auf und ging zum Lastwagen, an dem der Fahrer lehnte. Aus den Fenstern lehnten Leute, und die Wolken hingen sehr tief. Auch Toni und meine Mutter waren auf der Straße. Ihr schöner neuer Mantel flatterte, beide mussten sich richtig gegen den Wind stemmen, mussten sich an den Händen halten, verschwanden um die Ecke.
Ich wandte mich ab und klappte das Buch zu.
Eine Katze kletterte auf den Balkon der Blondierten und machte in ihren Basilikumtopf. Hinter dem Vorhang rührte sich nichts. Das Haus war wie ausgestorben. Meine Mutter hatte den Hausschlüssel vergessen, er hing am Haken.
Ich packte Popcorn ein, bei den Wörtern konnte ich mich nicht entschließen, machte alle Kisten auf, leerte Schachteln aus und fand doch keine passenden, und griff schließlich nur nach einem: KOSMOS. Wenn man ALLES dabeihat, muss man sich keine Sorgen machen, irgendetwas vergessen zu haben.
Vorsichtig schloss ich auf und ging hinein.
Milena saß auf dem Boden vor Tonis Bett und spielte mit zwei großen Puppen. Sie erschrak, sprang in den Schrank und zog die Tür zu. Ich streckte ihr durch den Spalt die Tüte Popcorn entgegen.
– Toni ist weg. Meine Mutter auch. Alle sind weg. Ich habe sie weggehen sehen. Magst du kein Popcorn?
Sie nahm mir die Packung aus der Hand, riss sie
Weitere Kostenlose Bücher