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Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)

Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)

Titel: Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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Bengel denn jetzt schon wieder?«, sagte meine Oma ungehalten. »Will er etwa nicht mitessen?«
    In diesem Moment hörten wir merkwürdige Geräusche aus dem Badezimmer. »Da hämmert doch einer!«, rief meine Oma. »Was soll der Quatsch denn nun wieder?«
    Wir drei Kinder folgten ihr auf dem Fuß, als sie zum Badezimmer rannte. Als sie die Tür aufstieß, sahen wir die Bescherung: Das Klo war schon zur Hälfte abmontiert. Fachmännisch war Stefan dabei, die letzte Schraube zu lösen.
    »Du Satansbraten!«, schrie meine Oma laut und packte meinen Bruder am Genick. »Du Rabenaas! Was fällt dir denn ein?«
    Mein Bruder stand mit hängenden Schultern da. Die Haare fielen ihm wirr ins Gesicht. Ich wäre so gern zu ihm hingelaufen. Er war doch mein Freund. Er spielte mit mir. Wenn niemand anderes dabei war, tröstete er mich auch und streichelte mich und nahm mich in den Arm. Er tat mir so Leid in diesem Moment. Aber ich blieb stocksteif stehen. Die Angst war stärker als das Mitleid. Wer bei uns dem anderen beistand, bekam sein Fett gleich mit ab, und das nicht zu knapp. Solche Erfahrungen sitzen tief.
    Meine Oma wurde ernstlich wütend. »Antworte!«, befahl sie und schüttelte meinen Bruder immer heftiger. »Raus mit der Sprache: Warum hast du das gemacht? Soll ich mir etwa das Genick brechen, ja?«
    Aber mein Bruder sagte nichts. Nur ein paar dicke Tränen tropften ihm plötzlich über das Kinn.
    Meine Oma hörte auf, ihn zu schütteln. »Ach so«, sagte sie, plötzlich verstehend, und fuhr ihm durch das Haar, »wegen Opa. Dummerjan, der du bist! Glaubst du denn wirklich, der Opa hockt hier bei uns unter dem Lokus und wartet, dass du ihn rauslässt? Jetzt schraub mir das olle Ding schön säuberlich wieder an, damit ich mir bei der nächsten Sitzung nicht das Kreuz aushänge, und dann komm zu Tisch. Es gibt Streuselkuchen. Den magst du doch so gern, oder nicht?«
    Mein Bruder gehorchte. Schluchzend schraubte er die Toilette wieder fest. Schluchzend saß er vor seinem Stück Kuchen. Es war ein besonders dickes Stück mit vielen Streuseln. Er aß nicht einen Bissen, naschte nicht einen Streusel.
    Ich starrte Stefan die ganze Zeit an. Ich hatte Angst. Weinen war mir unheimlich. Weinen war böse. Wer weinte, wurde bestraft.
    Als meine Oma ihm schließlich eine Kopfnuss gab und ihn anherrschte: »Nun ist aber Schluss! Genug mit dem Geplärr! Iss lieber!«, war für mich die Welt wieder in den Fugen. Nicht, dass ich Stefan die Kopfnuss gegönnt hätte; ich wusste nur zu gut, wie weh die harten Fingerknöchel taten. Aber Weinen war nun einmal verboten. Es war besser, seine Strafe sofort abzusitzen. Später wurde sie nur umso schlimmer.
    Stefan würgte an seinem Kuchen. Er zitterte so sehr, dass er kaum abbeißen konnte. Aber er aß alles auf, bis zum letzten Krümel. Und nach unserem Opa hat er niemals wieder gefragt.
    Nur Boris schrie noch lange jeder Qualmwolke sein fröhliches »Hallo Opa!« hinterher. Er hatte ja auch nichts mit ihm gehabt, nichts Gutes und nichts Böses.
    So verschwand also dieser Opa aus meinem Leben. Er tat mir nicht eine Sekunde lang Leid. Nein, ich war froh, dass er dort war, wo meine Oma ihn in Gedanken hinbeordert hatte: in den tiefsten, wüstesten Abgründen unter meinen Füßen. Nie hätte ich den Toilettendeckel für ihn geöffnet.
    Nur noch selten steigen die Erinnerungen in mir auf, wenn ich über einen Kanaldeckel gehe. Dann trete ich fester auf. Womit ich dem, der mich als Erster sexuell missbraucht hat, bedeuten will: »Bleib bloß dort unten!«
    Es war Nacht. Ich war erwacht. Obwohl alles still war. Ich schreckte immer so leicht auf, jetzt, nach dieser Nacht, in der etwas so Undenkbares mit mir geschehen war, dass es nur ein böser Traum gewesen sein konnte.
    Was nur hatte mich geweckt? Ich unterschied die Atemgeräusche meiner Brüder in der Dunkelheit. Boris und Stefan schliefen zusammen in ihrem Bett über mir, Georg, der leicht röchelte, in seinem Kinderbett. Er war ein wenig erkältet. Das kam, weil er immer in die Windeln machte. Wenn einer dauernd einen nassen Po hat, erkältet er sich leicht, das leuchtete mir ein.
    Aber da war noch ein anderes Geräusch. Ich lauschte. Es kam von der Tür.
    Ich setzte mich auf. Lieber Gott, mach, dass es hell wird! Warum ist hier kein Lichtschalter?
    Eine Hand legte sich auf meinen Mund.
    »Papa!«, flüsterte ich unter seinen Fingern.
    Mein Vater war gekommen. Er hatte nichts an. Ich fühlte seine Nacktheit unter meinen Händen, die er

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