Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)
gleich gesehen und »Moni!« gerufen. Einen lieberen Papa als ihn konnte es nämlich gar nicht geben auf der Welt.
Wenn er nur diese Spielchen nicht mit mir machen würde!
»Es ist doch nichts dabei«, hatte er gesagt. »Wir spielen doch nur ein bisschen. Das macht dir doch auch Spaß. Du willst doch, dass ich mit dir spiele.«
Ja, natürlich wollte ich, dass er mit mir spielte! Ich wollte, dass er mich wie früher auf einer Mauer balancieren ließ und meine Hand nahm, damit ich nicht hinunterstürzte. Ich wollte, dass er mich wie früher auf den Knien reiten ließ. Ich wollte, dass er mich wie früher in den Arm nahm und »Engelchen« zu mir sagte. Aber ich wollte nicht, dass er in mein Höschen griff. Ich wollte nicht, dass er mir diese nassen Küsse gab. Ich wollte nicht, dass er Pipi in meinen Mund machte. Ich wollte seine Spielchen nicht.
War ich deshalb ein böses Kind? Und was dachten denn die anderen über Papas Spielchen?
Ich fragte Boris: »Kommt der Papa zu dir auch ins Bett?«
Mein Bruder schüttelte den Kopf. »Quatsch, macht er natürlich nicht.«
»Uns will der doch nicht«, sagte Stefan. »Der will doch bloß seine Moni. Moni hinten, Moni vorn. Du bist doch seine Beste, seine Schönste. Wir sind ihm doch völlig egal, du ... du Wunschkind, du!«
Ich begriff, dass mein Vater mit meinen Brüdern nicht so spielte wie mit mir. Ich begriff, dass mein Vater solche Spielchen nur mit seinem Wunschkind spielte.
Ein Wunschkind würde solche Spielchen schön finden. Doch warum fand ich sie nicht schön? War ich denn überhaupt ein Wunschkind?
Die Angst, nicht das richtige Kind, nicht das Wunschkind, vielleicht sogar überhaupt nicht das Kind meines Vaters zu sein, diese Angst brachte mich völlig durcheinander.
Vielleicht war mein Vater ja gar nicht der Papa, den ich mir im Himmel ausgesucht hatte. Vielleicht hatte man mich dem falschen Storch mitgegeben, der mich dann zu ganz falschen Eltern brachte, die sich ein ganz anderes Kind gewünscht hatten. Wir hatten einmal ein Paket bekommen, das eigentlich nebenan abgeliefert werden sollte. Der Paketbote von der Post hatte sich in der Adresse geirrt. »Kann ja mal vorkommen«, hatte mein Vater gesagt.
War so etwas auch bei mir passiert? Oder hatte mich tatsächlich gar nicht der Storch gebracht, sondern ein Esel im Galopp verloren? Hatte mich dann der falsche Vater im Straßengraben gefunden?
Machte mein Vater mit mir diese komischen Sachen, weil ich gar nicht sein Kind war?
»Lieber Gott«, betete ich, »mach, dass ich sein Kind bin! Bitte, bitte mach, dass er mein Papa ist!«
Mit der Angst, nicht sein Kind zu sein, wachte ich morgens auf. Mit der Angst, verstoßen zu werden, verging der Tag. Mit der Angst, er könne merken, dass ich nicht sein Wunschkind sei, ging ich zu Bett. Mit der Angst vor seinen Spielchen lag ich in der Nacht wach. Mit all diesen Ängsten in meinen Träumen schlief ich schließlich ein paar Stunden.
Trotz meiner Ängste wagte ich ihm eines Tages zu sagen: »Papa, ich mag das nicht. Papa, mach das bitte nicht mit mir. Papa, das Spiel gefällt mir nicht.«
»Was heißt, du magst das nicht?«, fragte mein Vater und bekam böse Augen. »Hast du den Papi lieb oder nicht?«
»Ja, ich hab ihn lieb«, sagte ich.
»Wie lieb?«, fragte er und sah schon wieder ein bisschen freundlicher aus.
Ich breitete die Arme ganz weit aus. »So lieb! Ganz doll lieb!«
»Und ich hab dich noch viel doller lieb«, sagte er.
Dieses Spiel kannte ich. Wie hatte es mir immer gefallen! Wir hatten es oft gespielt. Am Ende hatte er mich in die Luft geworfen, ganz hoch, himmelhoch, und gesagt, so lieb habe er mich, seine Liebe sei größer als der ganze Himmel. Das war schön. Und ich sagte dann immer zu ihm: »Und ich hab dich noch viel, viel, viel doller lieb – so doll wie ein Riese!«
Wäre er unserem alten Spiel gefolgt, dann hätte er jetzt sagen müssen: »Ich hab dich aber noch viel lieber. Ich hab dich so lieb, so lieb wie ... wie ein Superriese!«
Aber mein Vater spielte nicht mehr mit. Er nahm mich plötzlich in die Arme und drückte mich so fest, dass ich kaum mehr atmen konnte. »Wenn du mich lieb hast, gefällt es dir auch«, flüsterte er. »Willst mich wohl verrückt machen, wie? Ich weiß doch, dass es dir gefällt. Sag, dass es dir gefällt, nun sag’s schon!«
Hinter meinen Augenlidern wurde es heiß. Ich wollte nicht weinen. Aber die Tränen sprangen mir unwillkürlich aus den Augen. Ich konnte nichts dafür. Ich wollte es nicht,
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