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Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Titel: Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jaeckel
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die sie nicht will, bist du dann da auch der Richter?«
    Mein Onkel sah mich merkwürdig prüfend an. Was wusste er? Was ahnte er? Warum fragte er nichts? War es die Schande, die ihn schweigen ließ? Die Schande, dass seine Frau vielleicht auch missbraucht worden war als Kind? Oder dass sein Kind aus einer Familie stammen könne, die perverse Männer und seelisch zerstörte Frauen hervorgebracht hatte?
    »Nein«, sagte er nach einer langen Pause. »Was in deiner Stadt passiert, geht mich nichts an, da bin ich nicht zuständig. Da müsstest du schon jemand anderen um Rat bitten.«
    Ich konnte nicht antworten. Wie Moorblasen quoll es aus meinem Bauch herauf. Ein neuer Versuch, das alte Pech. Ich würde Georg nichts davon erzählen. Warum auch? Es war ja nichts geschehen.
    Weihnachten ging vorüber. Bescherung, Christmette, wir waren eine wunderbare Familie. Kurz vor Silvester erhielt ich zum ersten Mal Beruhigungstabletten verschrieben. Kurz nach Neujahr nahm ich eine Überdosis davon.
    »Du hast versprochen, dass du es nie wieder versuchst«, warf Georg mir vor. »Du hast versprochen, du lässt mich nicht im Stich.«
    »Wollt ich ja auch nicht«, sagte ich. »Ich wollte nur, dass ich nichts mehr mitkriege, dass Schluss ist mit allem. Kapierst du das nicht?«
    »Von mir aus. Mach doch, was du willst«, erwiderte Georg. »Ich bin sowieso bald nicht mehr, dann ist es eh egal.«
    »Ach, Schorschi.« Ich nahm ihn nicht ernst. »Jetzt spiel nicht die beleidigte Leberwurst. Ich bin ja da. Komm, lass den Quatsch, ja?«
    »Vergiss es«, sagte Georg, »das Leben geht weiter. Aber bilde dir bloß nicht ein, ich heule, wenn du bei dem Scheiß mal hopsgehst, du blöde Kuh!«
    Er nahm mich in die Arme.
    Nur ein paar Zentimeter fehlten noch, dann wäre er so groß wie ich.
    »Du bist schon gar kein kleiner Bruder mehr«, murmelte ich und löste mich aus seinen Armen.
    Boris war mir eingefallen. Er war 14. Er fing an, das zu tun, was Männer tun. Wenn Stefan sich selbst befriedigte, spielte er mit. Es schien beiden zu gefallen. Manchmal kam ein ungutes Gefühl in mir hoch, wenn Boris mir gute Nacht sagte. Seine Hände streichelten irgendwie anders als früher. Nicht mehr nur lieb. Sein Streicheln erinnerte mich daran, wie es mit meinem Vater begonnen hatte. Mein Busen und mein Bauch schienen auf Boris eine magnetische Anziehungskraft auszuüben. Und immer öfter beobachtete ich, wenn er sich abwandte oder zu Georg ins Bett warf, dass er eine Erektion bekommen hatte. Da meine Brüder nackt schliefen, konnte er es nicht verbergen.
    Ich schämte mich meiner Angst. Boris war mein Bruder. Noch nie hatte er mehr versucht, als mich zu streicheln. Wie konnte ich ihm nur böse Absichten unterstellen. Pfui, Monika, er ist jünger als du, er ist ein Kind!
    Ich musste an Stefan denken, an Boris – und jetzt auf einmal auch an Georg. Er war zwölf. Ich dachte daran, was mir mit zwölf widerfahren war. Auch Elvira war zwölf gewesen. Waren auch Jungen mit zwölf alt genug, um ...
    Georg spürte, was in mir vorging. »Ich werde nicht so«, sagte er. »Ich nicht. Verlass dich drauf!«
    »Ich weiß!«, sagte ich. Mir war merkwürdig zumute, irgendwie zum Weinen und zum Um-mich-Schlagen, zum Wegrennen und zum Brüllen. Ich hätte gern mehr gesagt. Nur wie? Mir war, als gäbe es da etwas zwischen Georg und mir, woran ich nicht rühren dürfe, sonst würde es zerbrechen.
    In diesen düsteren, verzweifelten Winterwochen des neuen Jahres waren Berlin und die Aussicht auf ein paar Tage ohne Missbrauch die Hoffnung, die mich am Leben erhielt.
    Georg beneidete mich glühend. »Du kriegst alles«, sagte er. »Für dich macht der Alte immer Geld locker. Und wir, wir gucken in die Röhre.«
    »Für drei Wochen Urlaub in Berlin würde ich mich auch von ihm abfummeln lassen«, fügte Boris hinzu.
    Mit einem Wutschrei stürzte ich mich auf ihn. Den Nachbarn unter uns muss die Lampe von der Decke gefallen sein, so hoch ging es her bei uns. Aber schließlich bekam ich einen solchen Tritt ans Schienbein, dass ich umfiel wie ein nasser Sack und erst einmal genug hatte. Ein furchtbarer Bluterguss am Bein, eine kaputte Bluse – Boris hatte bewiesen, wer der Boss war.
    Als er abends in mein Bett kam, um mir gute Nacht zu sagen, dachte ich, es sei eine seiner stummen Entschuldigungen. Wir hatten uns oft miteinander versöhnt, indem wir uns im Bett aneinander kuschelten.
    »Vertragen wir uns wieder?«, fragte er.
    Ich wusste, wie schwer es ihm fiel, solche Worte

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