Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter
zurückzukehren. Ein Brief von Georg war eingetroffen. Sehr unglücklich teilte er mir mit, Stefan sei aus dem Haus geschmissen worden. Schreib mir! – Schreib mir! – Schreib mir! Quer über das ganze Briefblatt liefen die Worte. Es war wie ein Schrei: Komm zurück!
Nachts erwachte ich von meinen eigenen Schreien und weckte die Familie gleich mit. Hätte meine eigene Mutter nur einmal mit einem solchen Gesichtsausdruck nach mir geschaut wie diese fremde Frau! Hätte sie mich nur einmal mit so liebevoller Besorgnis an sich gedrückt!
»Was hast du denn? Träumst du oft so schlecht? Du wirst doch keine Angst bei uns haben?«
Wie gern hätte ich mich dieser Frau in diesem Augenblick anvertraut! Ich spürte instinktiv, dass sie mir glauben und helfen würde. Doch ein Rest Unsicherheit war da und warnte mich. Hatte ich mich nicht auch in Tante Inge und Oma Grete getäuscht? Wie sicher war ich gewesen, sie würden gar nicht anders können, als mir zu glauben.
Nein, ich würde nichts erzählen! Es war leichter, allein mit meinen Problemen zurechtzukommen, als noch einmal die Gefahr einzugehen, dass ein Mensch, den ich gern hatte, mir nicht glaubte und mich wegen meiner angeblichen Lügen verachtete.
Die letzten Ferientage verbrachte ich in dumpfer Angst. Was würde zu Hause auf mich zukommen? Welche neuen Spielchen hatte mein Vater sich in der Zwischenzeit ausgedacht? Am liebsten wäre ich schwer krank geworden, um nicht zurückreisen zu müssen. Ernstlich wägte ich das Für und Wider eines selbst herbeigeführten Unfalls ab. Die Verlockung war groß, doch meine Befürchtungen überwogen. Ich wusste, wie beglückt mein Vater war, wenn ich wehrlos ans Bett gefesselt war.
Die letzten Tage verrannen. Ich weiß nicht recht, ob meine Freundin eher traurig oder eher erleichtert darüber war, dass der Abschied nahte. Ich hatte es ihr nicht immer leicht gemacht. Anders als heute merkte ich damals noch nicht, wenn ich aus mir wegzugleiten begann. Es konnte mitten in einem Gespräch geschehen. Für jemanden, der damit nicht vertraut ist, ist so eine Situation unbegreiflich, und er wird sie oft sogar als beleidigend empfinden.
»Du bist vielleicht komisch!«, hatte meine Freundin oft gesagt. Ihre Mutter hatte es nur gedacht. Ich konnte es fühlen.
Dennoch hatten beide beim Abschied Tränen in den Augen. Es tat mir gut. Ich sah, dass es Menschen gab, die mich gern hatten, ohne Bezahlung dafür zu verlangen. Ohne meine Freundin aus Berlin hätte ich es in jenen Jahren vielleicht nie erfahren.
XXVIII
Als ich aus Berlin zurückkam, stand Georgs Freude, mich endlich wiederzuhaben, ihm so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass die Heuchelei meiner Mutter und die kaum gezügelte Erwartung meines Vaters wenig Bedeutung für mich hatten.
Leider ließ sich diese innere Distanz nur für wenige Stunden aufrechterhalten. Wie nicht anders zu erwarten, wollte mein Vater so schnell wie möglich seine Besitzrechte an mir wieder wahrnehmen.
Leder, Riemen, Handschellen, die Faust – jedes Mittel war ihm und seinen so genannten Freunden recht. Töchtertausch – ob im Quartett oder Duett – blieb die meistgeliebte Spielart. Neu war allerdings, dass sehr bald die Mädchen auch untereinander aktiv sein mussten. Es gab nur die Wahl, sich blutig schinden zu lassen oder zu gehorchen. Meist kam es zu beidem. Freiwillig tat es keine von uns, doch irgendwann, wenn der Schmerz alles war, was wir noch von uns selbst wahrnahmen, setzte der Selbsterhaltungstrieb ein. Stets war er mächtiger als der Wille, lieber zu krepieren als zu gehorchen.
Tiefer als in jenen Stunden fiel ich in meiner Selbstachtung nie. Es gab nichts – weder die erste Vergewaltigung noch die Schwangerschaft, noch das Verkauftwerden –, was schlimmer für mich war. Hatte diese Bestie von Vater verstanden, wie abscheulich mitschuldig ich mich fühlte, wenn ich erzwungenermaßen mit dem Fotoapparat festhielt, wie meine Geschlechtsgenossinnen benutzt und geschunden wurden? Brauchte er es, dass ich auf die teuflischste Art gedemütigt wurde? Er zwang mich, selbst zu missbrauchen, selbst die ekelhaften, widerwärtigen Gemeinheiten an Kindern durchzuführen, mit denen ich innerlich zerstört worden war. Er zwang mich, seine Rolle zu spielen. Brauchte er meine Mitschuld, um sich sicher fühlen zu können? War seine Angst vor dem Entdecktwerden mittlerweile schon so stark wie seine sexuelle Abartigkeit?
Alkohol wurde mein Freund. Die Tabletten halfen mir, vieles in einer Art
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