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Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Titel: Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jaeckel
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wirklich nicht.
    »Heul nicht!«, schnauzte mein Vater mich an. »Hör sofort damit auf! Willst du, dass die Mami böse wird?«
    Ich konnte nicht aufhören. Ich hielt die Hände über den Kopf, weil ich Schläge erwartete. Aber mein Vater schlug mich nicht. Er starrte mich an, als habe er mich noch nie gesehen, und sein Mund wurde so böse, dass ich aufschrie.
    »Also gut«, sagte er und stieß mich aus dem Sessel, in dem er gemeinsam mit mir gesessen hatte, zu Boden. »Dann eben nicht! Dann bring ich dich eben wieder in den Straßengraben zurück! Ein kleines Mädchen, das seinen Papi nicht lieb hat – wo gibt’s denn so was? So ein Mädchen kann ich nicht brauchen!«
    Auf den Knien krabbelte ich zu ihm zurück. Ich hatte ihn doch lieb! »Papa!«, schluchzte ich und klammerte mich an sein Bein.
    Mit dem Fuß stieß er mich in Richtung Tür. »Los, hau ab, verschwinde! Raus mit dir auf die Straße! Ich will dich nicht mehr sehen! Sollen doch andere Doofe dich mitnehmen! Raus, ab, wird’s bald?«
    Ich fühle sie wieder: diese gnadenlose, alles erstickende, alles in mir zum Zittern bringende Angst.
    Nein! Alles in mir schrie dieses Nein – mein Herz, mein Kopf, mein Körper. Nur mein Mund schrie nicht. Die Angst fraß meine Stimme.
    Mit aller Kraft spannte ich mich mit Händen und Füßen in den Türrahmen. Nein!
    Mein Vater sah mich an. In seinen Augen glitzerte es. Plötzlich begann er zu lachen. »Komm her!«, sagte er und breitete die Arme aus. »Hast mich also doch lieb, was?«
    Ich stürzte in seinen Arm. Er hielt mich fest. Die Angst verging. Ich hielt ganz still – auch noch, als seine Hand mein Höschen beiseite schob.

VII
    »Mami ist krank«, sagte mein Vater. »Sie muss sich ausruhen. Ich bringe euch zur Oma.«
    »Zu welcher?«, fragte Stefan.
    »Nach Essen, ist doch wohl klar«, antwortete mein Vater. »Glaubst du etwa, jemand anders hält es mit euch eine ganze Woche aus?«
    »Juhu!«, jubelte Stefan. »Super!«
    Ich atmete auf. Jetzt wusste ich, warum unsere Sachen, in Pappkartons und Plastiktüten verpackt, im Flur standen. Meine Angst war ganz umsonst gewesen. Sie verkauften uns nicht an die Zigeuner. Meine Mutter hatte mich angelogen. Welch ein Glück!
    »Darf ich wieder zu Tante Inge?«, fragte ich.
    Meine Mutter, die noch gar nicht aus dem Bett aufgestanden war, rief durch die offene Schlafzimmertür: »Wieso du ? Brauchst du mal wieder eine Extrawurst?«
    »Diesmal bringen wir Georg zur Tante«, sagte mein Vater. »Er ist noch so klein, da müssen wir notfalls schnell bei ihm sein können. Essen ist zu weit weg.«
    Nun war ich doppelt traurig. Wie gern wäre ich zu meiner Tante gefahren anstatt nach Essen! Doch die Trennung von »meinem« Baby schmerzte mich noch mehr.
    Wahrscheinlich hätte ich meine Tränen nicht zurückhalten können, hätte ich gewusst, dass Georg für lange Zeit nicht wieder nach Hause zurückkommen würde. Denn er wurde das, was ich immer so gern sein wollte: das Kind von Tante Inge.
    Vermutlich war es gut so, dass ich davon nicht einmal etwas ahnte. Der Kummer wäre zu groß gewesen. Es genügte schon, dass Stefan mich schadenfroh angrinste. Schließlich war er der Liebling von Oma Berta.
    Während der ganzen Fahrt nach Essen hatte ich noch mit meiner Enttäuschung zu tun. Aber es gab Schlimmeres. Eigentlich war ich recht gern bei Oma Berta, seitdem mein Opa seine Reise durch die Kanalisation angetreten hatte. Bei ihr kam es nicht vor, dass sie bis in die Puppen im Bett lag und uns Kinder anbrüllte, wir sollten endlich Frühstück machen. Im Gegenteil, wenn wir aufstanden, war der Tisch schon gedeckt. Es gab leckeren Kakao und manchmal zum Frühstück schon Kuchen. Mittagessen ohne Nachspeise war undenkbar. Und zwischendurch gehörten Bonbons, Schokoriegel oder andere Leckereien immer dazu. Für uns Kinder war es wie im Schlaraffenland.
    Während meine Brüder öfter draußen auf der Straße herumtollten, blieb ich meist im Haus. Oma Berta zeigte mir dann, wie man auf einem Pappdeckel hübsche Webbilder herstellt oder mit Hilfe bunter Fäden, deren Enden sie in Wachs getaucht hatte, auf einer Lochkarte sticken konnte. Sie war zwar keine geduldige Lehrerin und schimpfte des Öfteren, wenn ich mich gar zu ungeschickt anstellte. Trotzdem gab sie mir das Gefühl, etwas geschafft zu haben, etwas zu können. Bei ihr hieß es nicht: »Doof geboren und nichts dazugelernt!« Sie nahm mein kleines Werkstück an und lobte mich – auch wenn es nur ein gemurmeltes »Na, ist ja

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