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Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Titel: Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jaeckel
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Stück von meiner Mutter ab. »Von wem der Bengel das wohl hat? Von mir jedenfalls nicht!«
    »Nein, natürlich nicht«, sagte meine Mutter und begann zu essen. Ihre Hände zitterten wie bei einer alten Frau.
    Was sie so verunsichert hatte, wusste ich nicht. Ich begriff es erst Jahre später.

IX
    Borderline-Syndrom – dieses Wort steht in den psychiatrischen Gutachten, die über mich angefertigt wurden, seitdem ich das Geheimnis meines Vaters nicht mehr verschweigen konnte und es mit außen Stehenden zu teilen begann.
    Ich bin ein Borderliner, ein Grenzgänger zwischen Traum und Wirklichkeit. Auch wenn ich mich seit Ende des Gerichtsprozesses gegen meinen Vater in großen Sprüngen von der Grenze wegbewege und festen Boden unter die Füße zu bekommen beginne.
    Es ist hart, ein Borderliner zu sein. Weil jeder Schritt in die Wirklichkeit schmerzhaft ist. Weil jeder kleinste Erfolg mit bitteren, schmerzhaften Erinnerungen und Einsichten bezahlt werden muss.
    Wie habe ich die Augen und mein Herz verschlossen davor, was für ein Mann mein Vater wirklich ist! Wie habe ich das Bild geliebt, das ich mir von ihm gemalt hatte! Wie konsequent habe ich seine Schuld zu meiner eigenen gemacht, nur damit ich ihn lieben und verehren konnte! Und wie unsagbar weh tut es, mich heute ganz bewusst meinen Erinnerungen zu stellen, das Geschehene zu hinterfragen und zu erkennen! Jede von mir nicht länger zu verdrängende Tatsache reißt Fetzen aus dem Bild meines Vaters, reißt Fetzen aus meiner Liebe zu ihm, reißt Fetzen aus mir.
    Manchmal, wenn die Erinnerungen so stark über mich hereinbrechen, dass ich am Tage darüber reden und nachts davon träumen muss, fühle ich mich wie ein Seiltänzer ohne Balancierstange, der über einem todbringenden Abgrund verzweifelt um sein Gleichgewicht kämpft. In solchen Zeiten verschwimmt die Grenze zwischen Wirklichkeit und Traum, sodass sich die Geschehnisse der Vergangenheit mit denen der Gegenwart zu grauenhaften Zukunftsvisionen verbinden. Zum Beispiel zu der Schreckensvision, dass meine Therapeutin oder meine beste Freundin plötzlich gemeinsame Sache mit meinem Vater machen, dass sie mich ihm ausliefern, weil sie mir nicht mehr glauben.
    Seit einigen Monaten gelingt es mir immer häufiger und nachhaltiger, solche Visionen umzubauen. Das heißt, ich habe gelernt, sie gemeinsam mit einem Menschen, dem ich vertraue, zu besprechen und dabei meine Person durch die meines Vaters zu ersetzen.
    Beispielsweise sah ich in einem meiner letzten Albträume meinen Vater als Psychotherapeuten, in dessen Praxis ich kommen musste. Er überwältigte mich, band mich an Händen und Füßen, tat mir Gewalt an und ließ mich dann von zwei Pflegern in eine geschlossene psychiatrische Anstalt bringen. Besonders schlimm an dem Traum war, dass einer dieser Pfleger mein Betreuer war, den ich sehr schätze, und der andere ein guter Freund, der mir schon oft zur Seite gestanden hat.
    Tags darauf schaffte ich es mit Hilfe meines Betreuers, mich selbst in die Rolle des Therapeuten zu versetzen. Nun stand mein Vater als Patient vor mir, ich hatte die Oberhand.
    Am Tage, Auge in Auge mit meinem Betreuer, gelang das Rollenspiel. Nachts aber, als der Traum wiederkehrte, drehte mein Vater den Spieß um. Kaum hatte ich, die Therapeutin, die Pfleger zu Hilfe gerufen, um ihn, den Patienten, in Gewahrsam zu nehmen, überwältigte er uns alle drei und entführte mich in seine Wohnung, wo er sich an mir verging.
    Ich erwachte voller Panik, erkannte mein eigenes, vertrautes Zimmer, trank etwas Saft zur Beruhigung und hörte eine Kassette von Marius Müller-Westernhagen, weil diese Stimme mich wie keine zweite beruhigt. Doch kaum war ich wieder eingeschlafen, träumte ich an derselben entsetzlichen Szene weiter, an der ich meinen Traum unterbrochen hatte. Dies wiederholte sich mehrmals in jener Nacht, bis mich die Angst, in meine Traumwelt zurückkehren zu müssen, endgültig wach hielt.
    Nächtelang mied ich den Schlaf oder der Schlaf mich. Doch die Müdigkeit ließ sich nicht abweisen. Sie schlich sich in meine Gedanken. Sie lähmte meinen Willen. Sie öffnete den Visionen die Tür. Ich schlief nicht und träumte doch. Oder träumte ich nicht? Erlebte ich, was ich zu träumen wünschte? War es wieder wie damals in meiner Kindheit? Stellte ich mir die Wirklichkeit, weil sie so schlimm war, als Traum vor? Was war wirklich, was träumte ich nur?
    In Zeiten äußerster Müdigkeit und höchster Verwirrung flüchte ich mich in den Schutz

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