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Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Titel: Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jaeckel
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rasch ablegen zu können. Ich will endlich leben, will mich endlich öffnen, meinen Körper spüren! In solchen Momenten brauche ich den körperlichen Schmerz. Er bricht Stücke aus meinem Panzer heraus, schlägt Brücken in mein Innerstes. Der Schmerz tut mir gut, weil negative Empfindungen immer noch besser sind als gar keine.
    Ob mein Vater wohl weiß, wie nachhaltig sein Messer mich zerstörte?

XIX
    Seit Stefan männliche Verhaltensweisen an den Tag legte, hatte ich Angst vor ihm – und je häufiger meine Hand für seine Befriedigung herhalten musste, desto mehr. Obwohl er nach wie vor in unserem Kinderzimmer schlief und onanierte, obwohl er uns abwechselnd drangsalierte und beschützte wie zuvor, obwohl er Rausgehverbot wie wir anderen erhielt, wenn Gäste da waren, gehörte er nicht mehr so ganz zu uns. Er war jetzt ein Mann. Ich spürte es überdeutlich. Mein Vertrauen zu ihm war hin. Zwar war, verglichen mit dem, was mein Vater mit mir machte, das, was Stefan von mir verlangte, die reinste Erholung. Aber wie lange noch? Wann würde er mehr wollen?
    Nachts, wenn er mit meinen Eltern um die Wette stöhnte und das Licht der Straßenlaterne seinen Schatten zu dem eines Monsters verzerrte, konnte ich oft vor Panik nicht schlafen. Wie, wenn Stefan jetzt, in dieser Nacht, in mein Bett käme? Oder wenn er mich hinüber zu seinem Bett zerrte?
    Ich wehrte mich gegen den Schlaf. Das Stöhnen meiner Eltern bot keine Sicherheit mehr. Hatte die Müdigkeit mich nach Stunden dann doch übermannt, wachte ich mitten in der Nacht schreiend und um mich tretend wieder auf.
    Georg war genervt. Er wollte nicht mehr neben mir schlafen.
    »Du bist doch bekloppt«, sagte er. »Echt hohle Birne. Wenn dich ein Krokodil verschluckt, kann’s nicht mehr tauchen. Schieb ab, Alte! Deine Kiste ist unten.«
    Es konnte nichts Schlimmeres für mich geben, als aus Georgs Bett verbannt zu werden, das wie eine Oase in der Wüste war. Noch nie hatte sich mein Vater dazugemogelt, wenn ich neben meinem kleinen Bruder lag. Er hatte mich dann zwar geholt oder zu sich gerufen – aber in Georgs Bett war noch nie das Unaussprechliche getan worden. Es roch zwar nach ungelüfteten Kissen und zu lange benutzter Wäsche. Aber die Matratze stank nicht nach Sperma und hatte keine »Landkarten«, wie Stefan die Flecke nannte. In diesem Bett nicht mehr schlafen zu dürfen, ließ für mich eine Welt zusammenbrechen.
    »Ich geb dir Geld«, bettelte ich Georg an. »Ich geb dir alles, was du willst!«
    Georg tat cool. »Hundert Eier«, sagte er. »Drunter läuft nichts.«
    Einhundert Mark – das war ein Vermögen. Woher sollte ich so viel Geld nehmen? Seit Tante Inge meiner Mutter kein Bargeld mehr lieh, sondern stattdessen Lebensmittel kaufte, wenn es bei uns mal wieder zappenduster aussah, herrschte absolute Ebbe in der Kasse. Da wäre für den geschicktesten Langfinger nichts mehr zu holen gewesen – und ich war nicht einmal geschickt.
    »Ohne Moos nix los«, hakte Georg nach. »Ist nun Zahltag oder nicht?«
    »Morgen«, versprach ich rasch. »Ich besorg die Kohle, echt, du kriegst den Riesen.«
    »Die Alte lügt doch«, stichelte Boris. »Die und Knete besorgen!«
    Aber Georg lachte mir zu. In dieser Nacht war der Platz an seiner Seite noch einmal mein. Und morgen würde mir schon etwas einfallen. Eine ganze Nacht Galgenfrist hatte ich gewonnen ...
    Der nächste Tag war ein Sonntag. Wie immer, wenn mein Vater freihatte, weckte meine Mutter uns früh gegen neun. »Raus aus den Federn, Frühstück machen!«, rief sie und riss dem Erstbesten von uns die Bettdecke weg. »Papa hat Hunger, also dalli!«
    Keiner von uns hätte zu protestieren gewagt. Während meine Muter zurück ins Schlafzimmer rollte und die Bettfedern zu quietschen begannen, weil mein Vater zur ersten Nummer des Tages durchstartete, machten wir Kinder uns wie die Heinzelmännchen ans Werk. Frühstückseier, Marmelade und Honig, Wurst und Käse, alles fein garniert, fanden sich bald auf dem mit Kerzen und Servietten geputzten Wohnzimmertisch, an dem die hohen Herrschaften zu speisen geruhten. Die Hauptarbeit fiel Stefan zu; immerhin wollte er Koch werden.
    Boris und ich deckten derweil den kleinen Esstisch in der Diele. Hier frühstückten wir Kinder. Wir mussten mit den Resten von den Vortagen vorlieb nehmen. Die Butter war manchmal schon leicht ranzig. Nicht einmal frische Servietten gab es für uns; meine Eltern legten sie nach eigenem Gebrauch immer für uns Kinder zurück.
    Georg machte sich

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