Monkeewrench 01 - Spiel unter Freunden
Reaktionen auf alle Chemikalien mitgenommen hatte, die nicht von Lancôme stammten, hatte er seine Utensilien ins Haus geschleppt und im Wohnzimmer aufgebaut. Zwei Monate lang malte er dort, schon allein deswegen, weil er es endlich unbehelligt tun konnte. Erst als seine Frühstücksflocken nach Lösungsmittel schmeckten, schaffte er alles auf den Dachboden.
Tief durchatmend kletterte er durch die Luke in den Bodenraum und sog den angenehm beißenden Geruch von Terpentin und Ölfarben ein, der dort oben in der Luft hing. Das empfand er als wahre Aromatherapie.
Als er seine Pinsel gesäubert hatte und erschöpft ins Bett fiel, war es schon fast zwei Uhr morgens. Die herbstliche Landschaft bestand noch immer nur aus Farbblöcken und war nichts als ein heilloses Durcheinander, aber das würde sich schon geben, dachte er, als er einschlief. Das Telefon am Bett weckte ihn kurz nach vier mit seinem schrillen Läuten. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte er, die Waffe zu ziehen und das Telefon für immer zum Schweigen zu bringen, aber dann verflüchtigte sich der Wunschtraum, und er griff nach dem Hörer. Dabei fragte er sich, ob wohl irgendwann in der Geschichte der Telekommunikation ein Anruf am frühen Morgen eine gute Nachricht gebracht hatte. Er bezweifelte das. Gute Nachrichten konnten stets warten, aber aus irgendeinem Grund galt das nicht für die schlechten. «Magozzi.»
«Schwing deinen Arsch rüber zum Lakewood-Friedhof», sagte Gino. «Diesmal haben wir einen echten Knaller. Die Jungs von der Spurensicherung sind schon unterwegs.»
«Scheiße.»
«Wie Recht du hast.» Magozzi stöhnte, schlug seine Bettdecke zur Seite und krümmte sich zusammen, als ihn die kalte Luft traf. Mit diesem Schock wollte er seinen Körper dazu bringen, dass er wieder funktionierte. «Warum, zum Teufel, hörst du dich eigentlich so an, als wärst du schon stundenlang auf den Beinen?»
«Was denkst du denn? Ich bin schon die halbe Nacht mit dem Unfall auf.» Er sprach von seinem sechs Monate alten Sohn, einem überraschenden Nachzügler, und zwar dreizehn Jahre nach dem letzten Kind.
Magozzi seufzte inbrünstig und anhaltend. «Hast du Kaffee?»
«Ich hab Kaffee meine anbetungswürdige Frau füllt in diesem Moment die Thermoskanne. Und nimm deinen Parka mit. Es ist scheißkalt.» Eine halbe Stunde später standen Magozzi und Gino auf dem Lakewood-Friedhof und betrachteten in stummem Entsetzen eine riesige Statue aus Stein, einen Engel, der seine mächtigen Schwingen ausgebreitet hatte. Ein totes Mädchen war auf einem der Flügel abgelegt worden. Die Arme hingen auf der einen Seite hinunter, die Beine auf der anderen, das Gesicht der Toten war durch einen Schleier blutverschmierter blonder Haare zum Teil verdeckt. Das Mädchen trug ein rotes Kleid, Netzstrümpfe und hochhackige Schuhe.
Die Kriminaltechniker hatten auf hohen Aluminiumstativen gleißend helle Scheinwerfer installiert, um das schauerliche Tableau auszuleuchten, und die Wirkung besaß etwas Surreales. Magozzi vermochte das Gefühl nicht ganz abzuschütteln, an den Drehort eines David-Lynch-Films versetzt worden zu sein. Oder an den eines Horror-B-Movies.
Er blickte hinüber auf eine Reihe zerfallener Grabsteine, deren Rückseite von den Jupiterlampen beleuchtet wurde, und sah die zarten Nebelschleier, die sich auf dem Boden kräuselten.
Er blinzelte ein paar Mal, um dieses Bild zu vertreiben.
Dann wurde ihm klar, dass es sich um echten Nebel handelte und dass ja auf echten Friedhöfen manchmal echter Nebel genau so über den Boden kroch wie im Film.
Gino nahm einen kräftigen Schluck Kaffee. «Guter Gott, das hier sieht mir verdammt nach irgend so einer Sektenscheiße aus.» Jimmy Grimm vom Team der Kriminaltechniker zog einen peinlich genauen Kreis um den Sockel des Grabmonuments, hob winzige Beweisstücke mit der Pinzette auf und sammelte sie in kleinen Plastikbeuteln.
Anantanand stand abseits und wartete darauf, dass Jimmy seine Arbeit beendete. Bedrückt nickte er den Detectives zu.
Nach Geplänkel war ihm an diesem Morgen nicht zumute.
Magozzi blickte wieder hinauf zur Leiche. «Sie ist jung», sagte er leise. «Fast noch ein Kind.» Auch Gino sah jetzt genauer hin. Nicht viel älter als Helen, dachte er, verscheuchte den Gedanken aber sofort wieder.
Seine vierzehnjährige Tochter gehörte nicht in den Teil seines Gedächtnisses, in dem Bilder toter Mädchen umhergeisterten.
«Guter Gott», flüsterte er
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