Monkeewrench 02 - Der Koeder
umgebracht hatte, währenddessen er seinen Schwiegersohn, den Polizisten, jeden Sonntag zum Abendessen zu Gast hatte. Als Entrüstung in ihm aufstieg, ebenso wie das Gefühl, verraten worden zu sein, hätte er beinahe laut gelacht. War es wirklich ein so großer Unterschied, ob man Nazis ermordete oder den Mörder der eigenen Frau?
Kein Wunder, dass du ihn so geliebt hast. Ihr wart zwei von derselben Sorte.
Jack war während der vergangenen Minuten stumm geblieben. Vielleicht hatte er Marty Zeit geben wollen, zu verdauen, was er ihm bis dahin eröffnet hatte, vielleicht wartete er aber nur auf die große Frage, die zu stellen Marty sich fast fürchtete. Rose Kleber war also an der Reihe gewesen, auf den alten Mann zu schießen, der bereits auf dem Boden hinter dem Empfangstresen des Anglerheims lag, und danach hatte sie die Waffe an Jack weitergereicht.
Was hast du gemacht, Jack? Verflucht, was hast du gemacht?
Jack kicherte betrunken, und Marty merkte, dass er die Frage laut ausgesprochen hatte. «Übergeben habe ich mich. Habe auf den Boden gekotzt, auf die Waffe und auf die Hand der alten Lady. Mann, war die sauer. Aber nicht so sauer wie Pop. Er forderte mich immer wieder auf, zu schießen, , rief er wörtlich, und mir dämmerte zum ersten Mal, was da ablief. Wenn der Mann eine SS-Uniform angehabt und jemanden gefoltert hätte, vielleicht hätte ich es dann getan. Ich schätze, ich werde es nie wissen. Aber ich sah keinen Nazi vor mir. Ich sah nur diesen alten, fürchterlich zugerichteten und toten Mann.»
«Du hast nicht auf ihn geschossen.»
«Um Himmels willen, Marty, natürlich nicht. Für wen hältst du mich?»
«Ich weiß nicht, Jack. Du überraschst mich immer wieder.»
«Die ganze verdammte Familie steckt voller Überraschungen, hm?», sagte Jack bitter. «Jedenfalls hat Pop mir auf dem Nachhauseweg erzählt, was sie die ganzen Jahre über getan hatten, viele Dinge über Auschwitz, die ich lieber nie erfahren hätte, und dass es verdammt noch mal meine Pflicht als sein Sohn sei, sein Vermächtnis, dieses zu vollenden, wenn er sterben sollte, bevor es getan sei.»
«Und was hast du gesagt?»
Jack sah ihn über den Rand seines Glases an. «Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht mehr sein Sohn sein wollte und auch kein Jude mehr. Dann habe ich dafür gesorgt, dass ich es nicht mehr war.»
Marty nickte, denn er erinnerte sich an das Konfirmationsfoto und das Hochzeitsfoto und auch daran, dass Jack von einem Tag auf den anderen der Familie fern geblieben war. Jetzt verstand er die provozierenden Handlungen, die Lily als Schläge ins Gesicht bezeichnet hatte. «Du hättest mit Lily darüber sprechen sollen, Jack.»
Jack grinste und trank gleichzeitig. «Zweischneidiges Schwert, diese Sache. Dreischneidig sogar. Ich wusste doch nicht, ob sie auch mit drinsteckte…»
«Mein Gott, Jack, wie konntest du das nur denken?»
Jack starrte ihn ungläubig an. «Mann, Marty, ich hätte es mir auch niemals von meinem Vater vorstellen können, und du siehst ja, was zum Vorschein gekommen ist. Ich habe nie wirklich geglaubt, dass Ma so etwas hätte tun können, aber ich habe mich gefragt: Wie lebt man mehr als fünfzig Jahre mit einem Menschen zusammen und bekommt nicht mit, dass so etwas vor sich geht? Und ob sie nun mitgemacht hat oder nur davon wusste…» Er zuckte unschlüssig die Achseln. «Ich konnte mich dem nicht stellen. Ich wollte nichts davon wissen. Und wenn sie wie durch ein Wunder über die Jahre erfolgreich von ihm genarrt worden war wie ich auch, dann würde ich einen Teufel tun und ihr das Herz brechen, indem ich ihr die Wahrheit sagte. Also hielt ich mich von beiden fern und sagte nichts. Gleichzeitig fragte ich mich ständig, ob Pop weiterhin Menschen umbrachte, während ich dasaß, nichts tat und mir dämliche Sprüche einfallen ließ wie: < Ach komm, Jack, mach dir keine Gedanken, das sind doch nur Nazis, die es nicht anders verdient haben. > Ich habe überlegt, ob ich damit leben könnte, meinen eigenen Vater anzuzeigen und dadurch das Leben meiner Mutter zu zerstören, oder ob ich damit leben könnte, es nicht zu tun… Verdammt.» Er holte Luft, und dann trank er. «Ich kann dir aber sagen – der Alkohol hat geholfen.»
Auf der anderen Seite der verriegelten Tür, die zum Eintopfschuppen führte, lehnte sich Lily gegen das splitternde Holz und hörte zu, die Augen geschlossen, das Gesicht vor Kummer verzerrt. «Sei verflucht, Morey Gilbert», flüsterte
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