Monkeewrench - 03 - Mortifer
Erdboden in der dicken Astgabel eines knorrigen alten Eschenahorns.
Er hatte die schmutzigen Ahorne stets gehasst sowie die Massen von fliegendem Ungeziefer, die sie beherbergten. Die verdammten Dinger wurzelten einfach überall – ob im Sand oder Lehm, in der Sonne oder im Schatten, mitten in einem Maisfeld oder in einem Spalt im Bordstein, wenn man nicht aufpasste. Selbst mitten in einem alten Kiefernwald – was in diesem Fall ein Segen war. Am einen Tag noch ein spindeldürrer Setzling, am nächsten ein Monster von Baum wie das, auf dem Lee jetzt Zuflucht gefunden hatte.
Die untersten Äste der Weymouthkiefern waren zu hoch gewesen, als dass Lee sie hätte erreichen können, und sie wuchsen zu weit voneinander entfernt aus dem Stamm, um die Bäume ohne Mühe zu erklettern. Der Eschenahorn hingegen war ein Gottesgeschenk gewesen mit seinen dicken, abgespreizten Ästen und den breiten, tellerförmigen Astgabeln. Wenn Lee diese Geschichte überlebte, dann hatte er es dem Eschenahorn zu verdanken, und bei Gott, er würde nie wieder einen Setzling in seinem Garten ausreißen.
Er wusste nicht, wie lange er im Baum gesessen hatte – vielleicht eine halbe Stunde, schätzte er. Lange genug, um einzudösen und vom grauenvollen Lärm einer Salve aus einem Schnellfeuergewehr hochzuschrecken, die er, wie er später merkte, nur geträumt hatte. Aus der Wunde an der Seite seines Schädels war das Blut wie Wasser aus einem Hahn geschossen, während er durch den Wald um sein Leben gerannt war und auch noch lange später, nachdem er sich auf den Baum geflüchtet und in der Astgabel gelauscht hatte, wie sein Herz in der Brust hämmerte. Vorsichtig griff er nach oben und betastete mit einem der wenigen verbliebenen sauberen Flecken seines Taschentuchs die verletzte Stelle an seinem Kopf. Die Wunde blutete kaum noch. Vielleicht war sie doch nicht so tief und blutete nur so stark, weil Kopfwunden immer stark bluteten.
Er bewegte den Kopf, um den Boden unter sich abzusuchen, und zuckte zurück, als der Baum plötzlich wankte.
Scheiße, Lee. Wahrscheinlich hast du mehr Blut verloren, als du gedacht hast. Du bist völlig benommen.
Er verdrehte den Arm, bis ein dünner Strahl Mondlicht das Handgelenk traf, und spähte auf seine Armbanduhr, wobei er vorsichtig darauf achtete, nur die Augen zu bewegen, nicht den Kopf. Er blinzelte ungläubig, dann hob er die Uhr näher vor das Gesicht.
Mein Gott. Zwei Uhr morgens! Er hatte Stunden in diesem gottverdammten Baum verbracht, nicht Minuten. Er schloss die Augen und dachte darüber nach. Vielleicht hatte er nicht gedöst, wie er zuerst geglaubt hatte. Vielleicht hatte er das Bewusstsein verloren. Vielleicht war die Kopfwunde ja doch sehr viel schlimmer, als er angenommen hatte.
Das Herz stockte in seiner Brust, und sein Atem beschleunigte sich. Ganz ruhig, Lee, es ist alles in Ordnung. Du bist so weit gekommen, und den Rest schaffst du auch noch. Keine Panik jetzt.
Er zwang sich, langsam und tief zu atmen, und als sein Puls sich wieder beruhigt hatte, öffnete er die Augen und blickte sich erneut um. Wenn er den Kopf ganz vorsichtig bewegte, vermochte er sein Gleichgewicht einigermaßen zu halten.
Trotz des dichten Blätterdachs, welches das Mondlicht abhielt, fiel genug davon auf den Boden, um zwischen den Bäumen und entlang der Stämme dunkle Schatten zu werfen. Keiner von ihnen bewegte sich. Es herrschte Totenstille. Nicht das geringste Geräusch …
Verdammt. Jetzt fiel es ihm wieder ein. Vor einiger Zeit war er lang genug wach gewesen, um ein paar Geräusche im Wald unter sich zu hören. Es waren andere Geräusche gewesen als das hektische, flüsternde Rufen der Männer, die an der Straße auf ihn geschossen hatten. Diesmal waren die Geräusche vorsichtig gewesen, langsamer, geordneter. Leises Murmeln, Äste, die unter unvorsichtig gesetzten Schritten brachen, Unterholz, das beim Vorbeistreifen eines Körpers raschelte. Sie waren direkt bis unter den Baum gekommen, einige von ihnen, alle in Tarnuniform wie der Bastard an der Straßensperre, alle mit Schnellfeuergewehren im Anschlag und alle in die gleiche Richtung unterwegs, ungefähr die Richtung, aus der er gekommen war.
Die Richtung, in die du ganz bestimmt nicht willst, sagte er sich, und zum ersten Mal wurde ihm bewusst, dass er vorhatte, seinen Zufluchtsort zu verlassen.
Mein Gott. Was zur Hölle ging da vor? Mit Sicherheit waren das keine Nationalgardisten im Manöver, so viel stand fest. Wenn das US-Militär war,
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