Monkeewrench 05 - Sieh mir beim Sterben zu
geschaut, das intensive Grün eines Frühsommers in Oregon in sich aufgesogen und durch das offene Fenster den Duft der Kiefern eingeatmet. Doch eigentlich hatte er die ganze Zeit nur Marians qualerfüllte Augen gesehen und Desinfektionsmittel, getrocknetes Blut und Pflasterverbände gerochen.
So war es auch jetzt, als er durch die Sicherheitsschranke ging und den Ausweis vorzeigte, der es ihm erlaubte, mit sechs Kilo Metall am Gürtel zum Gate zu gelangen. Die Sensoren piepsten wie verrückt, als er durch die Schleuse ging, sie hörten sich an wie die Apparate auf der Intensivstation, die Marians Lebensfunktionen prüften.
Es war gar nicht weit bis zum Gate. Es kam ihm nur so vor. Auf halbem Weg blieb Theo stehen, weil sein Handy klingelte, dann kam er ihm nachgelaufen. «Die Spurensicherung hat das Messer in Huttingers Spülmaschine gefunden.»
«Na, dann auf Nimmerwiedersehen, Beweise.»
«Nicht unbedingt. Die Klinge ist gezackt. Sie können sie mit den Proben von Marians Schnittwunden vergleichen.»
Frost blieb wie angewurzelt stehen, weil er gleich an eine Autopsie denken musste. Lebenden Patienten entnahm man keine Fleisch- oder Knochenproben für Klingenvergleiche; es musste also heißen, dass Marian gestorben war. Er musste gar nichts sagen – Theo brauchte seinen Boss nur anzusehen, um zu wissen, was er dachte.
«Oh, verdammt, Chief, tut mir leid. So hab ich das doch nicht gemeint. Marian geht es gut. Immer besser sogar.»
Frost schloss die Augen und atmete auf.
«Aber wissen Sie … na ja, die Wunde an der Kehle war wohl ziemlich ausgefranst, und der Chirurg musste einiges abschneiden, um sie nähen zu können. Vor ein paar Jahren war er eine Zeit lang als Gerichtsmediziner tätig, er kennt sich also aus mit solchen Beweismitteln. Er hat die nötigen kosmetischen Schnitte durchgeführt und die Reste konserviert, für den Fall, dass man sie irgendwann zu Vergleichszwecken braucht.»
Durch das Fenster sah Frost, wie die 737 zum Gate rollte. Das Lächeln breitete sich nur langsam über sein Gesicht, doch es konnte einem Angst machen.
Clinton Huttinger war unter den ersten Passagieren, die das Flugzeug verließen, und wäre Frost ihm auf der Straße begegnet, er hätte nie im Leben geglaubt, dass es sich bei diesem Mann um einen bösen Menschen handeln könnte. Er sah genauso aus wie auf dem Foto, das Theo im Internet gefunden hatte: anständig, adrett, aber nicht zu auffällig gekleidet und immer ein leichtes Lächeln auf den Lippen, das allen erzählte, was für ein netter, umgänglicher Mensch er doch war.
«Mr Huttinger?»
«Ja?» Das Lächeln wurde breiter. «Was kann ich für Sie tun?»
Er wurde nicht einmal bleich, als Frost sich daranmachte, ihn vorsichtig und absolut vorschriftsmäßig festzunehmen. Er stand einfach nur da mit diesem verblüfften, jungenhaften Lächeln, zeigte sich kooperativ, wo er nur konnte, und wirkte auf die neugierigen Passanten wohl eher wie ein Pfadfinder als wie ein psychopathischer Mörder. Frost zog eine Show für die Schaulustigen ab, die sie schon bald umringten, entschuldigte sich bei Huttinger für die Handschellen, die er ihm anlegte, und erkundigte sich, ob sie auch nicht zu fest saßen.
«Alles in Ordnung, Officer.»
«Chief.»
«Wie bitte?»
«Ich bin Chief Frost von der Polizeidienststelle in Medford.»
«Oh, Verzeihung. Ich fürchte nur, mit den Händen auf dem Rücken werde ich mein Gepäck nicht mehr tragen können.»
Frost lächelte gütig. «Aber ich bitte Sie. Das übernehmen natürlich wir für Sie. Nur der eine Koffer hier und die Notebooktasche?»
«Ja, genau.»
Theo wollte schon nach den Gepäckstücken greifen, doch der Chief hielt ihn zurück und bückte sich selbst, um den Hartschalenkoffer von Samsonite mit den Metallverstärkungen an den Rändern hochzuheben. Dann richtete er sich auf und drehte sich, den Koffer in der Hand, wieder zu Huttinger um. Faszinierende Sache, diese Zentrifugalkraft, dachte er, als der Koffer seine Drehung in einem weiteren Bogen mitvollzog und dabei direkt auf den Schritt des sanftmütigen Englischlehrers zuhielt. Huttinger wich erschrocken zurück, und Frost gelang es, den Koffer mit einem knappen Zentimeter Spielraum abzufangen. Er sah Huttinger direkt ins Gesicht und lächelte ihn an.
«Huch. Das war jetzt aber knapp.»
Huttinger sagte kein Wort, doch sein Lächeln war verschwunden.
Kapitel 25
Gino hatte sich im Schreibtischstuhl zurückgelehnt, den Kopf in den Nacken gelegt und beide Handballen
Weitere Kostenlose Bücher