Monkeewrench 05 - Sieh mir beim Sterben zu
ersetzen, und die hatte schier einen Herzinfarkt bekommen: Um Himmels willen! Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Das ist noch das Originalschloss. Bei Ihnen in Kalifornien hat man wirklich nicht den leisesten Sinn für Geschichte.
Das Kalifornien-Argument bekam Chelsea hier oft zu hören, selbst wenn die Leute noch gar nicht wussten, wo sie aufgewachsen war, und sie konnte es nicht ausstehen. Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, mit naturblondem Haar, der Figur eines Cheerleaders und einem Abschlusszeugnis von der Beverly Hills High gestraft zu sein. Um das Maß vollzumachen, hatte sie auch noch mit Leichtigkeit ihr Promotionsstudium absolviert, während alle glaubten, sie hätte sich ihren Doktortitel auf einer akademischen Variante der Besetzungscouch verdient.
Eigentlich hätte sie auch Hollywoodstar werden können, so wie ihr Onkel und ihr Großvater, oder eine dieser luxusgeilen Hausfrauen in Orange County, Atlanta oder sonstwo, die zwar schwer an ihren Silikonimplantaten trugen, aber äußerst leicht an ihren Gehirnzellen.
Und sie begriff den Reiz von Ruhm und Reichtum ja auch besser als manch anderer, weil sie in diesem exklusiven Umfeld aufgewachsen war – gerade das qualifizierte sie so für ihre heutige Arbeit. Eine Gesellschaft, in der es nur um Äußerlichkeiten ging und darum, um jeden Preis bekannt zu werden, trieb Menschen, vor allem junge Menschen, zu allen möglichen Extremen, um diese Ziele zu erreichen. Auf der Insel der Seligen, von der Chelsea stammte, war es unter ihren Altersgenossen gang und gäbe gewesen, so früh wie möglich so viele Drogen wie möglich auszuprobieren, sich die Brüste und die Nase machen und die Lippen unterspritzen zu lassen, um dann, sobald die Verbände weg waren, Sex-Videos aufzunehmen. Dazu veranstaltete man allen möglichen anderen Kokolores, mit dem man noch auffallen konnte in Kreisen, die sich an schlechtem Benehmen nicht weiter störten, sondern alles, was man ihnen vorsetzte, mit der entsprechenden Prominenz belohnten.
Wenn man jedoch als zorniger, entrechteter und von den Eltern vernachlässigter Teenager in Iowa aufwuchs, nicht von Hollywoodstars abstammte und keinen Porsche fuhr, der bei jedem Clubbesuch von Paparazzi belagert wurde, fehlte einem diese Aufmerksamkeit. Und genau da kam das Internet ins Spiel, genau da konnte das Internet alles ändern. Nach Chelsea Thomas’ Ansicht war es nur eine Frage der Zeit, bis genau so ein Teenager aus Iowa beschloss, all die Paris Hiltons und Britney Spearses und Lindsay Lohans ringsum mit etwas ganz Spektakulärem zu übertrumpfen.
Beim FBI begriff das niemand so gut wie sie, und es hatte sich auch niemand vor einem solchen Szenario gefürchtet, bis sie ihnen erklärt hatte, dass Anlass dazu bestand. Daraufhin hatte man sie zwar nicht gerade ausgelacht, aber doch keinen Zweifel daran gelassen, dass es eine Verschwendung von FBI-Zeit und -Ressourcen sei, Teenager zu überwachen. Vor einem halben Jahr hatte sie dann gerade ihre eigene freie Zeit mit der Überwachung von YouTube verschwendet, als sie dort zwei Highschool-Schüler entdeckte, die planten, ihre Schule in Texas in die Luft zu jagen. Wie in allen Bürokratien und sonstigen kurzsichtigen Organisationen fand man es auch beim FBI ganz selbstverständlich, dass das, was einmal funktioniert hatte, auch wieder funktionieren würde, und so ging man, als neue Bedrohungen im Internet auftauchten, davon aus, dass die hauseigenen Technik-Cracks auch diesmal die Quelle finden und die Bösen schnappen würden. Dummerweise waren Kriminelle deutlich anpassungsfähiger als gesetzestreue Bürger, und bei den ausgefeilten Anonymisierungsprogrammen, die es inzwischen gab, ging es den Bösen blendend, zumindest, solange die Gesetzeshüter noch nicht aufgeholt hatten. Um scheußliche Verbrechen vorherzusehen, bevor jemand anders sie entdeckte, brauchte man Visionen und einen ganz grundlegenden Mangel an Glauben an die Menschheit, und so war es Chelsea gelungen, sich eine neue Position zu erarbeiten, die über ihre Arbeit als Profilerin hinausging.
Sie setzte sich zum Essen vor den Rechner und sah zu, wie er die Software herunterlud, die Roadrunner ihr geschickt hatte. Warum gaben sich Computer-Cracks eigentlich immer so lustige kleine Namen, anstatt sich etwas Würdevolleres auszusuchen, das ihrer Intelligenz besser entsprach? Wenn man John glauben durfte, war dieser Roadrunner nämlich absolut brillant. Und seine Modifikationen an der Software, die mit dem
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