Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
Es war eher so ein Gefühl, dein Vater und ich haben ja nie wirklich miteinander geredet.
»Er war ein guter Mann … Ein guter, gefügiger Mann, der den Mund nicht aufmachte.«
»Und ich, wie war ich?«
»Du warst ein böses Kind!«
»Böse?«
»Du bist immer gleich wütend geworden!«
»…«
»Ich verstand nicht, wieso. Ein vollkommen nichtiger Anlass, man sagte dir, ›tu dies nicht, tu das nicht‹, und schon fingst du an zu schreien. Du warst kein einfaches Kind, weißt du …«
Sie deutete anklagend mit dem Finger auf Shirley. Eine Weihnachtsbaumsträhne fiel herunter, und sie schob sie mit einem von Arthritis verformten Finger zurück.
»Kannst du mir ein Beispiel dafür nennen? So etwas einfach nur zu behaupten, ist leicht!«
»Tja, wenn du es unbedingt hören willst …«
»Ich will es wissen! Denk nach! Verdammt! Eleonore, du bist meine einzige Verwandte!«
»Ich erinnere mich an einen Tag … es regnete, wir waren zu dritt spazieren gegangen, und ich hatte dir hastig die Kapuze über den Kopf gezogen, damit du nicht nass wurdest. Du hast geschrien wie am Spieß. Don’t ever do that again! Ever! Nobody owns me. Nobody owns me! 10 , hast du geschrien. Dein Vater hat dich traurig angesehen und gesagt, das ist meine Schuld, Eleonore, das ist meine Schuld … Und ich fragte, wieso denn deine Schuld? Ist es deine Schuld, dass ihre Mutter im Kindbett gestorben ist? Ist es deine Schuld, dass du sie allein großziehst? Ist es deine Schuld, dass du im Palast vollkommen unmögliche Arbeitszeiten hast? Er war ein Mann, der sich alle Probleme der Welt aufbürdete … Er war viel zu gutmütig. Und was dich angeht, ich glaube, ich habe nie ein kleines Mädchen erlebt, das so voller Wut war wie du. Und dabei liebtest du ihn. Du hast ihn immer verteidigt … Niemand durfte deinen Papa auch nur im Geringsten kritisieren …«
10 »Tu das nie wieder! Nie wieder! Ich gehöre niemandem! Niemandem!«
»Ist das alles?«
»Nun ja … Es war nicht angenehm! Bei jeder Kleinigkeit liefst du knallrot an und bekamst einen Tobsuchtsanfall! So einem Mädchen bin ich vorher und nachher nie wieder begegnet.«
Und dann wurde es Zeit für ihre Serie.
Eleonore hatte den Fernseher eingeschaltet, und Shirley war gegangen.
Sie hatte vier Fünfzigpfundscheine auf das Sideboard gelegt.
Im Nachhinein ist es leicht, sich an die Vergangenheit zu erinnern. Wenn niemand mehr da ist, um die Erinnerungen zu bestätigen.
Sie saß bei Starbucks, dachte an das kleine, wütende Mädchen zurück und beobachtete die Leute. Die Bedienung beugte sich über die Spülmaschine, räumte die Tassen und Teller ein, richtete sich wieder auf und wischte sich über die Stirn.
Shirley stand auf. Suchte den Blick des Mädchens, um sich zu verabschieden. Erwischte nur ihren Rücken. Ließ es bleiben.
Sie ging die Brewer Street entlang und hielt nach einem Haushaltswarenladen Ausschau. Entdeckte einen an der Shaftesbury Avenue. Ging hinein. Trat an einen Ständer, fand einen Adapter für 5,99 Pfund, legte ihn stolz an die Kasse, bezahlte und steckte ihn ein.
Henriette hatte sich zu einem Computerkurs in der Rue Rennequin angemeldet.
Sie ging nachmittags dorthin. Die Kurse fanden in einem Laden statt, in dem Computerzubehör verkauft und Broschüren gedruckt wurden. Nachmittags waren dort nur alte Leute, die tausendmal die gleichen Fragen stellten, ihre verbrauchten Finger und Augen über die Tastatur wandern ließen, vor sich hin brummten, das sei viel zu schwierig, und sich beschwerten. Sie zappelte nervös herum, ich hasse alte Leute, ich hasse alte Leute, ich werde niemals alt sein.
Sie wechselte in den Abendkurs. Dort waren die Schüler aufgeweckter, und sie würde schneller lernen. Es war eine Investition. Sie durfte ihr Geld nicht verschwenden.
Chaval hatte ihr den Schlüssel der Schublade gegeben, in der die Trompete die Zugangsdaten aufbewahrte. Und er hatte ihr den Code für die Alarmanlage verraten. Sie wusste, dass er ungefähr alle drei Monate gewechselt wurde. Sie durfte keine Zeit verlieren.
Sie wartete auf den Abend, an dem sie sich heimlich in die Firma schleichen könnte. Einen Abend, an dem Ginette und René nicht da wären … Wieder und wieder lief sie vor dem Gebäude in der Avenue Niel 75 vorbei und beobachtete ihr Kommen und Gehen. Sie fand heraus, dass sie jeden Donnerstag bei Ginettes Mutter zu Abend aßen. René schimpfte beim Einsteigen in den alten, grauen Renault, der im Hof geparkt stand. Deine Mutter, brummte er
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