Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
verschlungen und zupfte nervös an den losen Häutchen an ihren Nägeln.
»Na los, raus mit der Sprache, Maman! Frag doch einfach, was du wissen willst. Du platzt ja gleich …«
»Nein, nein …«
»Doch … du weißt ganz genau, dass du nichts verbergen kannst! In dir liest man wie in einem offenen Buch …«
Joséphine lächelte entschuldigend.
»Bin ich so leicht zu durchschauen?«, fragte sie.
»Na, Mata Hari bist du nicht gerade! Also … Was willst du wissen?«
»Geht es ihm gut?«, fragte Joséphine verschämt.
»Ist das alles?«
»Äh … Na ja …«
»Dann hör mir jetzt mal gut zu: Es geht ihm gut, er lebt allein, er ist attraktiv, intelligent, brillant und frei wie ein Vogel … aber du solltest die Gelegenheit nutzen, denn ein Mann wie er weckt Begehrlichkeiten.«
»Dottie …«
»Sie ist wieder zurück in ihre Wohnung gezogen, und wenn du mich fragst, war er kein bisschen in sie verliebt … Er hat ihr einfach aus der Klemme geholfen, als sie Hilfe brauchte …«
»Redet er über mich? Fragt er, wie es mir geht?«
»Nein …«
»Ist das ein schlechtes Zeichen?«
»Nicht unbedingt … Er ist ein kultivierter Mann und denkt sich sicher, dass ich deine Tochter bin und nicht als Briefkasten dienen sollte. Und außerdem seid ihr alt genug, um allein klarzukommen …«
»Früher schickte er mir Blumen, Bücher, Karten mit geheimnisvollen kurzen Botschaften … Auf die letzte hatte er einen Satz von Camus geschrieben: ›Charme bedeutet, ein Ja zur Antwort zu erhalten, ohne überhaupt eine Frage gestellt zu haben …‹«
»Und was hast du darauf geantwortet?«
»Ich habe ihm nicht geantwortet …«, gestand Joséphine.
»Du hast nicht geantwortet?«, brauste Hortense auf. »Ich bitte dich, Maman … Was willst du denn noch? Dass er in Ketten vor dir im Staub kriecht?«
»Ich wusste, dass er mit jemandem zusammenlebte, und …«
»Wenn du nie antwortest, wird er mit Sicherheit irgendwann das Interesse verlieren! Der Mann ist doch kein Heiliger … Du bist echt zum Verzweifeln! Du hast ja vielleicht alle möglichen Unidiplome, aber was die Liebe angeht, bist du eine absolute Doppelnull!«
»Ich bin noch Anfängerin auf diesem Gebiet, Hortense, ich bin darin nicht so gewandt wie du … Ich habe mein ganzes Leben mit Büchern verbracht …«
»Aber jetzt, wo Dottie sich verzogen hat, wirst du ihm doch hoffentlich antworten?«
»Nein … Ich habe mir etwas ausgedacht …«
»Los, raus damit, ich fürchte das Schlimmste!«
Hortense lehnte sich gegen die Sofakissen und machte sich auf eine von Kitsch triefende, schmalzige Geschichte gefasst.
»Ich habe mir gedacht, dass ich eines Abends unten vor seinem Fenster stehen werde und … du wirst mich auslachen …«
»Nein! Los, erzähl schon!«
»Ich werde Steinchen werfen und … Er wird das Fenster öffnen und herausschauen, und dann werde ich ganz leise sagen, ich bin’s, ich bin’s, und er wird herunterkommen …«
»Mein Gott, ist das lächerlich!«
»Ich wusste, dass du das sagen würdest …«
Joséphine ließ den Kopf hängen. Hortense richtete sich auf einem Ellbogen auf.
»Warum so kompliziert, wenn es auch einfach geht? Ruf ihn an, und ihr verabredet euch … Wir leben in der Zeit von Internet, speed dating und Handy! Cyrano und sein Balkon sind passé! Und dem hat es ja auch kein Glück gebracht! An deiner Stelle würde ich mich nicht so anstellen …«
»Im Dunkeln werde ich weniger Angst haben … Und wenn er nicht herunterkommt, werde ich mir sagen, dass es nicht unbedingt daran gelegen haben muss, dass er nicht mit mir reden will, sondern dass er mich vielleicht einfach nicht gesehen hat, und dann werde ich weniger traurig sein …«
»O Mann, Maman! Und das in deinem Alter! Du solltest eigentlich weiter sein!«
»Wer verliebt ist, ist nun einmal dumm, ganz gleich, wie alt er ist!«
»Nicht zwangsläufig …«
»Sieh dir nur Shirley an! Sie hielt sich für so stark und unverwundbar … Aber seit sie Oliver kennengelernt hat, weiß sie nicht mehr, woran sie ist. Sie macht einen Schritt nach vorn und einen zurück. Sie ruft mich an und erzählt mir davon. Sie stirbt vor Angst bei dem Gedanken, er könnte gehen, und stirbt vor Angst bei dem Gedanken, er könnte bleiben … Sie weiß nicht mehr, wie sie heißt, sie isst Bonbons, und sie schüttet riesige Milkshakes in sich hinein! Wir sind alle gleich, Hortense, sogar du! Du weißt es nicht, besser gesagt, du tust so, als wüsstest du es nicht. Aber du wirst es
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