Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
seinem Handy, hielt es beiläufig ins Licht: keine Nachrichten. Sie rief nie an, um ihn wissen zu lassen, dass es später wurde. Es wurde immer später. Außer, wenn er darauf eingerichtet war. Dann kam sie garantiert pünktlich oder sogar zu früh. Er hörte den flachen Atem seiner Tochter und wusste, dass sie sich schämte.
Dabei hatte es so gut begonnen. Tina und Ted. Ted und Tina. Ein vielversprechender Titel. Ein filmreifes Paar. Ihre Beziehung war von Anfang an dramatisch gewesen. Intensiv. Er hätte es wissen müssen. Solche Filme endeten nie gut.
Er nahm sein Handy vom Tisch. «Ich geh schnell telefonieren.»
Emma nickte nur. Er ging in die Küche und rief Tobias an.
«Du, ich schaff es nicht.»
«Lass mich raten.»
«Nicht nötig.»
Einen Prinzessinnen-Junkie nannte ihn Tobias, einen Räf-o-philen . Sie kannten sich seit der Schule, schon damals hatte Ted einen unglücklichen Hang zu herzlosen Frauen gehabt. Tobias sagte, Ted sei ein Weichei. Tobias sagte, er solle endlich einmal durchgreifen. Tobias wusste nicht, wie es war, ein Wochenende mit Emma zu verbringen, ihrem stummen Blick ausgeliefert, ihrem herzzerreißenden Bemühen, ihm keine Umstände zu bereiten.
«Ich kann doch alleine warten», sagte sie jetzt. «Mama kommt bestimmt gleich.» Sechs Jahre und schon so alt.
«Alleine warten? Spinnst du?», rief er, zu laut. Er boxte sie in die Schulter – sie wich ihm aus. War es möglich, dass man sein eigenes Kind nicht kannte? Sie hatte dieselben grauen Augen wie Teds Mutter. Vielleicht war es das.
Tina kam eine Stunde zu spät. Sie entschuldigte sich nicht. Ihr Blick forderte ihn heraus, doch etwas zu sagen. Er wusste es besser.
«Du schuldest mir jetzt schon zwei Jahre ununterbrochenen Hütedienst», hatte sie ihm einmal vorgerechnet.
«Hütedienst? Ich bin der Vater!»
«Vater!» Sie hatte geschnaubt.
Er hatte alles richtig gemacht. Als Tina ihm den Schwangerschaftstest mit dem rosa Pluszeichen im Fenster (plus eins? plus Kind?) ins Zahnglas gesteckt hatte, hatte er sich gefreut. Er hatte Champagner geholt und in das Zahnglas gefüllt.
«Du rücksichtsloses Arschloch, meinst du, ich darf jetzt noch Alkohol trinken? Typisch», sagte sie. «Für dich geht das Leben weiter wie gehabt. Ich bin die, die sich anpassen muss. Mein Leben ist zu Ende!»
«Warum – willst du das Kind denn nicht?»
Sie hatten darüber gesprochen. «Dein Bauch gehört dir», hatte er gesagt. Das warf sie ihm heute noch vor, auch vor Emma: «Du! Du wolltest schließlich abtreiben, nicht ich!»
Die Schwangerschaft hat alles kaputtgemacht, dachte er damals. Doch Tina war schon vorher unzufrieden gewesen. Mit ihrem Leben, ihrem Job, mit ihm. Sie war es geblieben.
Als Emma zwei Jahre alt war, hatte Ted eine Reihe eindeutiger Nachrichten auf Tinas Handy entdeckt. Sie gestand eine bereits länger andauernde Affäre mit ihrem Vorgesetzten und zog aus. Er sah Emma jedes zweite Wochenende und eine qualvolle Ferienwoche im Sommer. Nach einem weiteren Jahr war Tinas neue Beziehung zerbrochen, seither sah er Emma, wenn Tina einen Babysitter brauchte. Manchmal oft, manchmal gar nicht.
«Mama, komm jetzt!» Emma hatte ihre Mutter aus der Wohnung gezerrt, und dann war er allein gewesen. Allein mit dem angefangenen Abend. Es war zu spät gewesen, um ins Kino zu gehen, zu früh, um zu Hause zu bleiben. Er hatte – keine Ahnung warum – eine Turnhose eingepackt, ein Handtuch. Er war die Straße hinuntergegangen bis zu dem Yogastudio, an dem er jeden Tag mindestens zweimal vorbeiging. Er stieß die Tür auf, ging die Treppe hoch und schrieb sich für eine Probelektion ein. Er hatte Glück, die nächste Stunde würde gleich beginnen.
Teds Arme zitterten. Sein Rücken schmerzte, seine Oberschenkel brannten. Was sollte er jetzt tun? Sein Leben war ein Witz. Seine erste Yogastunde, und dann so etwas! Die Lehrerin lag flach auf dem Gesicht und rührte sich nicht. Sollte er es ihr gleichtun? Seine Beine gaben nach. Ted ließ sich auf die Knie sinken. Die pralle Wassermelone erhob sich – grandioser Hintern, schoss ihm durch den Kopf. Warum dachte er so etwas? Andererseits, warum trug sie diese enge rote Hose, wenn sie nicht wollte, dass man ihren Hintern beachtete? Wenn sie stand, verschoben sich ihre Proportionen zu einer nahezu perfekten Sanduhr – Herrgott, halt deine Gedanken im Zaun! «Ich bin Ärztin», sagte sie. Sie schritt zwischen den gähnenden, stehenden und zusammenfallenden Hunden hindurch, kauerte sich neben die
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