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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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nur öfter als unsereiner; er opferte mehr, indem er sich opferte. Einmal war’s komisch; wir hatten uns Jahre nicht getroffen und machten wieder einmal eine Wanderung in den Voralpen, GROSSER AUBRIG , wie früher so oft, und da ich auf ärztliches Gebot ein halbes Jahr lang nichts getrunken hatte und täglich eine Stunde gewandert war, fiel mir das Steigen leichter als W. Ich gebe zu, es freute mich, daß er nicht auf mich warten mußte. Er blieb zurück. Zum Gipfel war es nicht mehr weit, aber W. wollte nicht mehr. Unser Verhältnis so zu sehen, ich weiß, wäre zu primitiv. Er war an diesem Tag unsrer letzten Wanderung gerade nicht in Form. Er hatte in letzter Zeit (meine Spital-Zeit) Schweres durchgemacht. Schließlich sind wir keine Sportler, zwei Männer um fünfzig. Von meiner Arbeit zu sprechen, wie gesagt, habe ich mich nie getraut; sein stiller Verdacht, daß ich auf öffentliche Erfolge hereinfalle, war mein Verdacht geworden. Ich war ihm dankbar dafür. Eigentlich habe ich mich an meinen Erzeugnissen immer nur freuen können, indem ich W. vergessen habe, sozusagen hinter seinem Rücken; unter seinem blauen Blick wurde es mir mit meinen Erzeugnissen niemals wohl. Ich verriet sie zumindest durch Schweigen, das ein gemeinsames Schweigen war. Unsere letzten Begegnungen waren 1959. Die Frau, die ich damals liebte, hatte Philosophie studiert und über Wittgenstein geschrieben, promoviert über Heidegger. Das konnte W., der sie an diesem Tag zum ersten Mal sah, nicht wissen; ihren Namen hatte er schon gehört, ihr poetisches Œuvre kannte er nicht. Auch sie hatte Mühe, sich vor W. zu entfalten; auch der TRACTATUS LOGICUS , den W. nicht kannte, hatte Mühe. Ich schwieg, um nicht als Halbkundiger zu stören. Philosophie-Kenntnis von einer Frau, die mit mir lebte, das ging ihm offensichtlich nicht ein; W. fühlte sich in unsrer Wohnung nicht wohl. Trotz Champagner; ich wußte, daß er Champagner mag. Und sie wußte, wieviel ich diesem Mann verdankte;davon hatte ich oft und reichlich erzählt, ohne meinen Freund allerdings schildern zu können. Nun saß er da, groß von Figur, auch schwer geworden. Es gab keinen Philosophen-Streit, vielmehr lehnte W. sich in den Sessel zurück; ich hatte W. noch nie so gesehen: Ein Mann! Nicht daß er der Frau, die etwas irritiert war, wie alle den Hof machte; W. besichtigte sie bloß, während sie zu sprechen versuchte. Man hatte ein erstes Glas getrunken, daran konnte es nicht liegen. Niemand führte das Wort. Da die Frau zwar nicht in dieser Stunde, aber durch ihre Bücher offenbar den Anspruch erhob, eine Dichterin zu sein, reizte es W., sich über Dichtung zu äußern, nicht fragend, sondern sicher, obschon er, wie wir hörten, in letzter Zeit fast nicht zum Lesen komme wegen der Katalogisierung der Sammlung. Sicher war Hölderlin für ihn größer als Hans Carossa, immerhin blieb Hans Carossa für ihn ein Dichter. Die Frau, die sich dazu nicht äußerte, erkundigte sich nach seiner Sammlung und warum W. sie uns nicht zeigen wolle, nein, auch nicht einmal ihr. Seine Meinung, daß er sogar das Recht hätte, Schätze aus dem alten China und Werke mittelalterlicher Meister sowie lebender Maler zu vernichten, weil er sie nicht bloß mit Geld erworben, sondern durch seine Wahl und seine jahrelange Beschäftigung mit ihnen sich einverleibt habe, war nicht scherzhaft; er sah sich unverstanden. Trotzdem hatte ihm diese Frau, wie ich später erfuhr, in einem gewissen Sinn gefallen; von einem Dritten hörte ich, daß W. sich wunderte, wie der Frisch zu einer solchen Gefährtin gekommen sei. Die Summe, die mir seinerzeit ein Studium ermöglicht hat, habe ich nie zurückerstattet; es hätte ihn verletzen müssen, denke ich, es hätte seine Generosität sozusagen annulliert. Als ich W. neulich in Zürich erkannt habe, bin ich betroffen gewesen: Bewußtsein von Dankbarkeit, kein Gefühl. Ich habe ihm auch nicht geschrieben, daß ich ihn auf der Straße erkannt habe. Heute interessiert es mich nicht einmal mehr, was W. über unsere lange Geschichte denkt. Das vor allem macht mich betroffen. Ich meine, daß die Freundschaft mit W. für mich ein fundamentales Unheil gewesen ist und daß W. nichts dafür kann. Hätte ich mich ihm weniger unterworfen, es wäre ergiebiger gewesen, auch für ihn.
     
    OVERLOOK :
     
    das Schild hat versprochen, was es hier nicht gibt. Einmal von einem kleinen Hügel aus sieht man in der Ferne den blauen Wagen; weder ihr Wagennoch sein Wagen. NATIONAL CAR RENTAL ,

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