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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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    WIE ALT MÖCHTEN SIE WERDEN ?
     
    LIEBEN SIE JEMAND ?
     
    UND WORAUS SCHLIESSEN SIE DAS ?
     
    Einmal schaut er zu: Feuerwehr in Aktion, die vielen roten und blitzblanken Wagen, Sirenen, die blauen Kreisellichter; ein Feuerwehrmann schlägt drei Fensterscheiben ein, es kommt Rauch heraus. Dann geht er weiter. Es ist immer noch Sonntag; es regnet mäßig. Er geht mit offenem Mantel, Hände in den Hosentaschen. Von Kreuzung zu Kreuzung dasselbe Spiel: WALK/ DON’T WALK . Er vergißt, daß er Tabak hat kaufen wollen. Ohne Bedürfnis zu wissen, wo er sich zur Stunde befindet, liest er die Straßenschilder: CANAL STREET . So weit ist er gegangen. Da und dort dampft es aus einer Dole, man kennt das; diese weißlichen Wirbel von Dampf. Es ist drei Uhr nachmittags und Sonntag. Hier kann man die leeren Straßen überqueren, wo man will; ihr verlöcherter Asphalt. Einmal hört man das Geflatter eines Helikopters, der nicht zu sehen ist, ein hartes Klatschen in der Luft; er sieht das Ziehen der grauen Wolken über den Dächern. Dann wieder ist es still in einer langen Straße ohne einen einzigen Menschen; nur Mülltonnen, Rudel von Mülltonnen. Er spürt den Regen am Nacken. Ohne stehenzubleiben, als habe er ein Ziel, schaut er: die gelben Rohre inmitten der Avenue, eine Baustelle mit Schranken und Wimpeln, es dampft wie aus Schloten eines Dampfers, der im Asphalt versunken ist. Irgend etwas genießt er, ohne zu wissen, was er genießt. Er spürt noch den Sand in seinen Schuhen. Plötzlich dröhnt es aus einem Gitter herauf, meistens kommt aus diesen Gittern nur der flaue Geruch, SUBWAY , er benutzt sie nicht; kein Bedürfnis nach einem Ziel. Eigentlich hat er gemeint, er müsse sich eine Stunde lang ausruhen im Hotel; er geht, die Hände in den Hosentaschen. Inzwischen hat der Regen aufgehört. Einmal bleibt er stehen: ein paar Jugendliche auf Rollschuhen, sie spielen Eishockey auf dem Asphalt; ein regelrechter Puck, der aber auf dem Asphalt nicht gleitet, sondern kullert; eine Weile lang hätte er Lust, auch einen Stock in denHänden zu haben. Dann geht er weiter. Er sieht: wieder Mülltonnen aus geripptem Blech, dazu ganze Stapel von schwarzen Plastik-Säcken, die auf den Montag warten, ihre glänzende Schwärze.
     
    COUNT DOWN :
     
    in 48 Stunden fliege ich ... Lynn erwartet nicht, daß er umbucht, und er erwartet nicht, daß sie dazu auffordere. Sie haben sich verstanden. Am Abend kommt Lynn ins Hotel. Sein Ticket liegt unter der gelben Lampe.
     
    TELL ME !
     
    sagt er öfter, als könne ein Mensch sich selber erzählen, und hört zu, er hört wirklich zu; Lynn glaubt nicht ganz, daß es für ihn wichtig ist, nicht gleichgültig, wer Lynn gewesen ist.
     
    (Monate später, Januar 1975, halte ich mich nicht an die Vereinbarung. Zwar wage ich sie nicht anzurufen: als Stimme aus der Vergangenheit. Dann aber stehe ich vor dem Desk, wo man sich anzumelden hat, und gebe mich geschäftlich. LYNN IS NO LONGER WITH US . Ich schweige. Tot? So hört es sich an. Die Schwarze am Desk, als sie meine Betroffenheit sieht, führt mich nicht zur Nachfolgerin im Office, sondern sagt: I LIKED HER VERY MUCH INDEED . Wo sie in diesen Tagen ist, meldet später ein Brief, der mich in Europa erreicht, ein langer Brief, gekritzelt auf Deck eines Schiffes: sie sei arbeitslos, überhaupt möchte sie einen andern Beruf, ein Kind, sie spiele viel Pingpong und lese grad mein Buch, das ich ihr damals gegeben habe; offenbar reist sie allein; sie überlegt sich ihre Zukunft.)
     
    Es ist nicht der richtige Knopf, den Lynn an seine schmutzige Jacke näht, sondern ein Knopf von seinem Regenmantel. Zu dunkel, auch etwas zu groß; er wird auffallen. Eine englische Jacke, vor elf Jahren in Zürich an der Bahnhofstraße gekauft; das hat er nicht vergessen: es ist ihr Fund gewesen, wahrscheinlich das erste Mal, daß sie ihn beim Kleiderkauf beraten hat. Wieder einmal müßte das Futter ersetzt werden. Eine Jacke wie diese (Manchester) ist nie wieder zu finden gewesen, auch nicht in London. Eine Jacke für immer, hundert Mal gereinigt; sie ist abgewetzt, und das macht’s, daß man sich zu Hause fühlt darin. Am rechten Ärmel übrigensist auch schon ein Knopf, der auffällt, und das soll er nämlich: ein kleiner, viel zu kleiner, ein beinahe roter Knopf. Wer hat diesen Knopf angenäht? Lynn hat es erraten: YOUR WIFE ? Er hätte sie auch ohne diesen Knopf nicht vergessen. Das ist am Montag. Das befreundete Paar, das Lynn zum letzten Abend

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