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Mord zur Geisterstunde

Mord zur Geisterstunde

Titel: Mord zur Geisterstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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    Honey Driver war sich ihrer eigenen Sterblichkeit nur zu bewusst. Ihr war sonnenklar, dass sie eines Tages sterben müsste. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, sich bereits in den nächsten paar Jahren aus dem irdischen Dasein zu verabschieden – bis heute Abend. Denn eigentlich war doch heutzutage das Alter von fünfundvierzig das, was früher einmal Ende zwanzig gewesen war? Der Gespensterspaziergang war Mary Janes Idee gewesen.
    »Ich schau mal in meinem Terminkalender nach«, hatte Honey auf den Vorschlag erwidert. Alles zwecklos. Da war keine Eintragung. Kein geplanter Kneipenbummel durch Bath mit Kollegen aus dem Hotelgewerbe. Auch keine Einladung von Steve Doherty auf einen Drink. Wo war der Kerl, wenn man ihn mal brauchte?
    »Und ich habe doch heute Geburtstag.«
    Mary Jane war eine gute Seele. Mary Jane war eine Freundin. Aber sie war auch nicht ganz von dieser Welt. Sie glaubte an Poltergeister, Gespenster, Tischrücken, Schutzengel und Feen im Garten.
    »Es regnet.«
    »Gespenstern macht so ein Tröpfchen Regen nichts aus.«
    Tröpfchen? Es regnete Bindfäden, und inzwischen waren Honeys Turnschuhe völlig durchweicht. Eines der Tröpfchen hing ihr an der Nasenspitze. Sie hatte zu niesen begonnen: nicht einmal oder zweimal, mit genug Zeit dazwischen, um in der Handtasche nach Papiertaschentüchern zu wühlen. Nein, die Nieser reihten sich aneinander wie Perlen an einem Rosenkranz, einfach endlos. Dieser Spaziergang würde noch ihr Tod sein.
    Ringsum gluckerte das Wasser durch die Regenrohre, sprudelte |6| in die Gullys, tropfte von Fensterbrettern und ergoss sich im bernsteingelben Licht der Straßenlaternen in schimmernden Kaskaden. Hätte Honey einen Schirm dabeigehabt, so hätte der Regen wie mit Hammerschlägen darauf gedonnert. Endlich hatte sie die Papiertaschentücher gefunden, zog eines heraus und stopfte den Rest wieder in die Tasche. Auch in die tröpfelte das Wasser. Grauenhaft! Sie rief sich ins Gedächtnis, dass Mary Jane Geburtstag hatte. Immer schön fröhlich bleiben! Wie um alles in der Welt konnte sie das bewerkstelligen?
    Regen, Regen, nichts als Regen. Und Schirme. Sie dachte an Gene Kelly und »I’m singing in the rain …«. Ohne Regenschirm und ganz gewiss ohne die richtige Tonart patschte sie über die Straße.
    »Pass auf!«
    Mary Jane hatte das gerufen. Und sie gerade noch am Kragen gepackt und zurückgerissen.
    Ein Motorrad verfehlte sie um Haaresbreite.
    »Idiot!«, brüllte Honey. Der Fahrer verschwand so schnell, wie er aufgetaucht war, wieder in der Dunkelheit und hinterließ eine Gischtfontäne.
    »Ich hab sein Nummernschild nicht lesen können. Sonst wäre der Kerl geliefert«, grummelte Mary Jane mit grimmiger Miene.
    »Macht nichts. Du hast mich gerade noch rechtzeitig zurückgezerrt. Das ist das Wichtigste.«
    »Der ist einfach nicht ausgewichen!«
    »Wirklich?«
    »O ja.«
    Mary Jane war quietschvergnügt und quicklebendig. Sie war Doktor der Parapsychologie und erst kürzlich ganz von Kalifornien in das Green River Hotel in Bath übergesiedelt, um näher bei ihren Verwandten zu sein – ihren toten Verwandten, wohlgemerkt. Die alten Herrschaften hatten schon vor einigen Jahren, nämlich im achtzehnten Jahrhundert, das Zeitliche gesegnet. Mary Jane selbst war auch bereits ein wenig über siebzig, und sie hielt viel von guter Zukunftsplanung.
    »Es wird nicht mehr allzu lange dauern, bis ich mich ebenfalls |7| in die Geisterwelt begebe. Ich mag es gar nicht, irgendwo die Neue zu sein. Das hat mir bereits in der Schule und auf dem College überhaupt nicht gefallen. Es kann nie schaden, wenn man schon vorher ein bisschen Kontakt mit den Leuten aufnimmt, ehe man sich zu ihnen gesellt.«
    Es war, als hörte man einer netten alten Tante zu, die einen Besuch bei verschollen geglaubten Verwandten in Australien plante.
    Honey erkundigte sich, wie lange der Geisterspaziergang dauern würde. »Mindestens zwei Stunden«, versicherte ihr Mary Jane. Honeys Lebensgeister ermatteten vollends.
    »Aber doch bestimmt nicht heute Abend. Bei dem Wetter?«
    Mary Janes Antwort traf sie wie ein Hammerschlag. »Doch, ganz bestimmt. Vielleicht sogar länger. Der Spaziergang ist besonders bei Senioren sehr beliebt.«
    Das war wirklich eine schlechte Nachricht. Nicht alle Senioren waren so fit wie Mary Jane. Vor Honeys geistigem Auge tauchten Spazierstöcke und – schlimmer noch – Rollatoren auf. Nebel senkte sich über die Welt. Sogar die fröhlichen Lichter des

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