Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
Scheidung der Habe. Eine Goethe-Gesamtausgabe in sanftem Leder gehört ihr, das weiß ich; ein Geschenk vom Vater. Ein Band in derselben Ausgabe ist zweifach vorhanden, DICHTUNG UND WAHRHEIT , und so frage ich, ob ich diesen Einzelband nehmen dürfe; sie hat recht: auch dieser Einzelband gehört ihr. Nachträglich verstehe ich den Schwiegervater, der auf meinen schmerzlichen Brief mit der Mitteilung, daß die Ehe mit seiner Tochter nach zwölf Jahren gescheitert sei, nur die Frage gestellt hat, ob ich mir denn die Scheidung finanziell leisten könne. Als ich eine Fahrschule besuche und mein erstes Auto kaufe, einen VW, bin ich 48. Einige Jahre lang habe ich keine Übersicht: in Rom spare ich nicht, in Zürich schon eher; in der Fremde habe ich eher das Gefühl, es stehe mir zu, was ich zahlen kann. Zum Beispiel eine Wohnung in Parioli, Miete monatlich2000 Franken. In meiner Kleidung verändert sich nichts. Ich brauche nicht zu rechnen, das ist das Neue. Was brauche ich? Es scheint, als spiele das Geld jetzt keine Rolle mehr, überhaupt keine. Zum Glück gibt es Kollegen, die vermutlich noch größere Einkünfte haben als ich, darunter gute Schriftsteller. Was ich mir jetzt ohne Zögern leiste: eine sehr schöne Pfeife, zwei sogar, sowie Bequemlichkeiten im Alltag und was Zeit erspart, Flüge statt lange Reisen mit der Bahn, Taxi zum Flughafen. In Rom haben wir Pina, die ihr Leben lang bei Aristokraten gedient hat. Ich bringe es nicht über mich, die Klingel zu drücken, wenn wir Eis brauchen aus dem Kübel nebenan; lieber stehe ich auf und bediene die Gäste und mich. Ich werde kein Aristokrat. Einmal ist auch noch Heinrich Böll zu Besuch, schwitzt und zieht, während Pina bedient, seine Jacke aus. Wir sind für Pina erledigt. In Zürich, auf einer Durchreise, sehe ich die Fassade der Volksbank; ich erinnere mich plötzlich an diese Fassade, trete in die Halle, die mir bekannt vorkommt, und frage am Schalter, ob ich hier nicht ein Konto habe; ich zeige meinen Paß. Dies ist der Fall: 20 000 Franken, seinerzeit gespart aus Angst, daß ich eines Tages die monatlichen Alimente nicht zahlen könnte; inzwischen sind es 23 000 Franken geworden. Ich danke. Als ich eine Viertelstunde später die Sparkasse der Stadt Zürich sehe, trete ich ein und frage auch da; man zeigt mir ein Sparheft: 174.30 Franken, letzte Auszahlung im Jahr 1938. Gegenüber liegt die Kantonalbank, und so frage ich auch da, indem ich den Paß unter den Schalter schiebe; es dauert lang, bis der Schalterherr zurückkommt und sagt: Nein, leider nein. Ich entschuldige mich. Wieso bin ich reich? Meine Ausgaben haben sich vervielfacht, und ich finde sie horrend, sofern ich Zahlen sehe; um nicht zu erschrecken, muß ich von Zeit zu Zeit nachsehen, ob ich mich denn über die Einkünfte nicht irre, und das ist der Fall: sie sind größer, als ich gemeint habe. Es bildet sich Vermögen; die Summe hat etwas Beliebiges; das hat nichts mehr mit Lohn zu tun oder mit Gehalt, eher mit Lotterie. Wenn jemand in Verlegenheit ist und einen Hunderter von mir borgt oder einen Tausender, so vergesse ich’s. Heimlich entsteht ein schiefes Verhältnis nicht bloß zu Leuten, die genau rechnen müssen, sondern auch ein merkwürdiges Verhältnis zur eigenen Vergangenheit: es ist lächerlich, natürlich hätte ich 1955 ein Moped kaufen können, als ich auf dem Land wohnte. Nicht ohne eine gewisse Entschlossenheit beginne ich mich zu verwöhnen. Wenn schon ein Plattenspieler, warum nicht der beste, der zur Zeit auf dem Markt ist, und warum nicht die erstklassigen Lautsprecherdazu? Dabei muß ich etwas überwinden, die frühe Prägung: Das Billige tut’s für mich auch! Zu verschwenderischen Unternehmen neige ich in Gesellschaft mit Freunden; ich bin kein Reicher, sondern neureich. Bei den Freunden bemerke ich keine Zeichen von Neid, doch irgend etwas ist anders. Sie reden jetzt seltener von ihren Geldsorgen. Sie wissen, daß ich schon einigen geholfen habe. Verändert hat sich vor allem der Umgang mit den Reichen, ihr Verhalten zu mir. Plötzlich reden sie unbefangen nicht bloß über Literatur und Künste, sondern über Grundstückspreise und wo in der Welt man besonders günstig kauft, Schmuck, Antiquitäten etc. Schon früher habe ich natürlich gesehen, was sie alles haben, und man hat sich über Poliakoff unterhalten, über Cuno Amiet, über Hodler, noch nicht über Giacometti. Es ist Takt gewesen, daß sie nicht von Sachwerten gesprochen haben, solange der Gast sich solche
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