Montedidio: Roman (German Edition)
verschwommen, und ich sehe Papas Gesicht nicht, der sich schämt wegen seiner Tränen in meiner Gegenwart. Meister Errico nimmt mir den Besen aus der Hand, er nimmt ihn mir mit Gewalt weg, wir gehen nach draußen, er schließt die Werkstatt wegen des Trauerfalls, begleitet uns zum Krankenhaus, Mama ist nicht mehr, man hat sie eingeschlossen, ich halte die Arme dicht an die Brust gepresst, so spüre ich die Wärme vom Bumerang, und es riecht nach sfogliatelle , nach Kuchen, an einem Nachbarbett öffnet ein Mann eine Schachtel mit Kuchenstücken für einen Kranken, und uns bietet er auch welche an, da brechen die Tränen aus, jetzt weiß ich, dass es auf Italienisch so heißt, denn sie kommen und lösen sich von den Augen, weil eine Explosion von innen, ein Stoß sie antreibt.
P APA HAT AUFGEHÖRT ZU WEINEN , er löscht sein ganzes Gesicht aus, kein einziger Nerv ist mehr wach, er achtet nicht auf die Leute, die eintreffen und mit ihm sprechen und ihm die Hand drücken und mir auch. Ich halte das gute Auge halb geschlossen und lasse alles mit mir geschehen, diese ganze Prozession von Leuten aus Montedidio. Dann kommt Maria, sie geht direkt zu Papa, hakt ihn unter und begleitet ihn nach draußen, und er geht ruhig mit ihr, ein bisschen Luft schnappen, und ich bleibe da, wache über den Körper unserer eingeschlossenen Mama, die sich nicht einmal von mir anschauen lassen wollte. Marias Eltern haben bei sich in der Wohnung vorbeigeschaut, um die Koffer zu holen; weil sie nicht da war, haben sie ihr Geld dagelassen und Don Ciccio gebeten, ein bisschen auf sie aufzupassen, sie müssen eine dringende Reise machen, werden bald zurückkommen. »Sie stecken in Schwierigkeiten«, sagt Maria, die das mit Mama durch Don Ciccio erfahren hat. Sie hat eingekauft, ist zu uns in die Wohnung gekommen, um uns etwas Warmes zu essen zu bringen. Wir gehen zu Fuß, Papa zwischen uns beiden hebt den Blick nicht von seinen Schuhen, wir führen ihn durch die Enge der Bürgersteige, wo die Leute sich so dicht zusammendrängen wie die Oliven in der Tüte. Er ist abgemagert, lässt sich schieben von uns und vom Wind, der uns ins Gesicht ohrfeigt und es hart macht.
M ARIA BEREITET EIN O MELETTE mit Maccheroni zu, ich decke den Tisch. Papa setzt sich steif auf den Rand eines Stuhls. Die Hände liegen auf den Knien, so bleiben sie ruhig, wenn er sie dort hin und her reibt. Er ist ein wenig über die Beine gebeugt, mit dem Rücken nach vorn gestreckt, von der Nase lösen sich Tränen, die direkt auf die Erde fallen. Maria stürzt das Omelette aus der Pfanne gleich in den Teller, sagt: »Es ist fertig«, setzt sich an den Tisch. Papa rückt den Stuhl heran, isst die ganze Portion schweigend mit Genuss auf. Maria sieht den leeren Teller; ohne zu fragen, füllt sie ihn wieder auf, er isst alles auf, je länger er kaut, desto mehr kommen die Muskeln des Gesichts, die Nerven, die Augen, die Stirn wieder in Bewegung. Maria sagt, dass die Händler zu Weihnachten ihre Preise erhöhen, sie nutzen die Leute aus, die einmal im Jahr Eindruck machen möchten: »Wir sollten Mitte August einkaufen.« Papa achtet nur auf seinen Teller, er wischt ihn mit Brot aus, dann steht er auf, sagt, dass er zur Genossenschaft der Ablader geht, um die Arbeit wiederaufzunehmen, er hatte sich einige Tage freigenommen. Er bittet mich, eine Flasche Wein zu kaufen, lässt mir dreihundert Lire da. Maria deckt ab, wäscht ab, räumt auf. Maria erledigt die Dinge ruhig, sie zeigt, dass sie sich in der Küche auskennt, und auch wenn das Leben traurig ist, muss man die Hausarbeit erledigen, wenigstens gibt es dann keinen Schmutz, der eine zusätzliche Demütigung ist, man soll gerade dann Ordnung halten, wenn die Tränen an einem hängen.
D ER N ACHMITTAG IST FREI , ich schlage Maria vor, mit mir zum Hafen der Mergellina zu laufen, wo die lange Mole sich weit ins Meer hinaus erstreckt, und am Ende der Mole gibt es einen Leuchtturm und Klippen, wo man im Freien sitzen kann, aber ohne die Stadt um einen herum. Ich will dorthin gehen, weil die Häuser und die Straßen alle gleichzeitig aufhören und es Neapel plötzlich nicht mehr gibt. Das offene Meer, sein Rauschen, verbirgt die Stadt, es genügt, dass man bis zum Ende der Mole geht. Maria zieht den Mantel an, den Schal, und steht schon an der Tür, ihre Bereitschaft ist eine zärtliche Berührung in den Knochen. An der Strandpromenade kaufe ich ihr einen tarallo , einen Kringel mit Schmalz und Pfeffer, der Wind trägt unsere Wärme
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