Montedidio: Roman (German Edition)
gebrauchen, damit meine Stimme wieder zum Leben erweckt wird, die von früher ist tot, und die neue ist noch eingeschlossen. Er lächelt, sagt, dass meine Stimme ganz plötzlich wieder da sein wird, und sie wird sehr kräftig sein. Er erzählt mir: »Auf der Reise in den Süden Italiens nach dem Krieg gehe ich auf einer Landstraße und höre hinter mir ein entsetzliches Gebrüll, einen markerschütternden Schrei, ein wildes Flehen, das einen die Ohren bluten ließ. Ich setze mein Gepäck ab, drehe mich um und sehe zum ersten Mal einen Esel, der einen Karren zieht, und einen Mann, der ihn mit der Peitsche schlägt. Das Tier reckte den Hals, und mit den straff gespannten Zügeln und der Kandare im Maul ließ es seinen Protest gegen den Schmerz so weit wie möglich hören. Wenn ich doch so beten könnte. In der Heiligen Schrift finden sich viele Passagen über den Esel, ein sehr geschätztes, nützliches Tier. Sein Schrei dagegen ist nutzlos, übermächtig, er betrifft nur ihn und Gott, der Mensch ist ausgeschlossen. Es war Mai, ich hatte die Ohren voll vom Krieg, von den schrecklichsten Geräuschen. Der Eselsschrei rief Antworten aus den umliegenden Feldern hervor, und mir sind stoßweise Schauer über den Buckel gefahren, meine Augen waren plötzlich feucht. Den ganzen Krieg über waren sie trocken geblieben, und auf einer italienischen Landstraße sind sie aufgewacht, um auf den Ruf der Esel zu antworten. Wenn deine Stimme wieder da ist, wird sie die Kraft des Eselsschreis haben.« Ich danke Euch, Don Rafaniè, das ist ein Segenswunsch, mit der dumpfen Stimme, die ich jetzt habe, hört es sich so an, als ob ich ein Verschwörer wäre. Wisst Ihr, Don Rafaniè, dass die Fußballmannschaft von Neapel einen Esel auf ihrer Fahne hat? Das ist sicher deshalb so, weil die Menge im Stadium so laut schreit wie ein Packesel, wenn die Mannschaft ein Tor schießt. Ich habe den Schrei des Stadions einmal gehört, als ich draußen vorbeiging, und auch mir sind die Tränen gekommen, ohne dass ich es merkte. In diesem Schrei war eine übermäßige Kraft, er stand in keinem Verhältnis zum Anlass eines Tores, war übermächtig. Unterdessen, während wir so reden, sind wir bei seinem Zimmer angekommen, ich zünde die Kerze an, und wir nicken uns zum Abschied zu.
I CH STEIGE ZUR W ASCHKÜCHE HINAUF , um zu trainieren, der Mond ist klein, ein Brassenschwanz über dem Vesuv, ein abnehmender Mond. Er steht zu niedrig, um ihn als Ziel zu benutzen, ich ziele auf einen höheren Stern, schließe das gute Auge, schleudere den Arm nach vorn, ohne zu werfen, dabei zähle ich im Kopf jede Wurfübung bis zu zweihundert Mal. Der Bumerang ist gebogen, die Schulter beschreibt eine Kurve ebenso wie das Handgelenk, und alle zusammen werden einen Schwung in gerader Linie ergeben. Muskeln und Nerven werden einen Wurf hervorbringen wie einen Schlag ins Gesicht, werden Himmel und Erde in einen spitzen Winkel zusammenzwingen, der Bumerang ist heiß, scharf gespannt von all den unterdrückten Würfen, er wartet, dass sich die Finger öffnen, damit er in die Dunkelheit aufsteigen kann. Das trübe Auge sieht den Himmel ganz nah, was braucht’s schon zum Fliegen? Ich denke an Rafaniello und sehe bereits, wie der Himmel die Zugbrücke herunterlässt, um sie beide hereinzulassen, ihn und den Bumerang. Jeden Abend senkt sie sich ein wenig tiefer, und dann wird ein Sprung von der Terrasse genügen, um daraufzusteigen. Der Himmel selbst wird die Flügel schlagen lassen, Ihr braucht Euch überhaupt nicht anzustrengen, Don Rafaniè, nur die Flügel ausgebreitet halten. Mit dem trüben Auge sieht man gut, was später passieren wird.
T ROTZ DER K ÄLTE SCHWITZE ICH , während die Muskeln gegen die Luft schlagen und ein rasches Streicheln mir die Stirn trocknet. Die Geister spielen gern mit dem Salz der Körper, sie lecken es, sie lassen sich den Saft des Lebens schmecken, das aufgewühlt ist, kämpft. Wenn aber Blut herausquillt, wollen sie es nicht sehen, dann eilen sie schnell herbei, um es zu stillen, um auf die Wunde zu drücken. Mir trocknen sie Schnitte in einer Sekunde. Das trübe Auge fixiert die Stelle am Himmel, wo der Stern senkrecht über dem Castel dell’Ovo steht, um sie im Kopf zu behalten, falls es ihn in der Nacht des Einunddreißigsten wiedersehen sollte.
M ARIA MÖCHTE INS K INO GEHEN , im Lux zeigen sie einen Film mit Totò. Totò ist in der Wüste, er schreit: »Diese furchtbare afrikanische Sonne!«, und wir lachen. Warum lachen wir? Weil wir
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