Montgomery & Stapleton 07 - Die Seuche Gottes
Sie?«
»Ich hoffe, Sie sind jetzt nicht enttäuscht.«
»Wohl kaum«, erwiderte Angela. Sie streckte die Hände nach ihm aus und umarmte ihn, indem sie auch seine Arme umschlang und einklemmte. So verharrte sie einen Augenblick lang. Als sie ihren Griff wieder gelockert hatte, waren ihre Augen eindeutig feucht. »Ich danke Ihnen, auch im Namen meiner Tochter. Ich weiß nicht, was ich sonst noch sagen soll.«
»Ein Dankeschön reicht völlig aus«, meinte Chet. »Und im Übrigen: Gern geschehen.« Dann deutete er mit dem Daumen über die Schulter zurück. »Vielleicht sollten wir versuchen, den Bus zu kriegen, mit dem ich hergekommen bin. Sonst müssen wir womöglich weiß Gott wie lange auf den Nächsten warten.«
»Auf jeden Fall!«, sagte Angela eifrig. Sie wollte so schnell wie möglich so viel Distanz wie möglich zwischen sich und Rikers Island bringen und griff nach ihrer kleinen Tasche. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum Ausgang. Befangen, wie sie waren, berührten sie einander nicht.
»Warum haben Sie das gemacht?«, wollte Angela wissen, als sie ins Freie traten.
»Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht.«
Angela blieb kurz stehen und blickte sich um. »Wenn man eingesperrt ist, dann wird einem plötzlich klar, für wie selbstverständlich man die Freiheit nimmt. Das war das Schlimmste, was ich bisher erlebt habe.«
»Ich glaube, wir sollten uns beeilen«, sagte Chet. Der Bus stand immer noch da, wo Chet ausgestiegen war, aber die Schlange vor dem Einstieg war auf drei Personen geschrumpft.
Chet und Angela rannten los und stiegen ein. Erst ganz hinten entdeckten sie noch eine freie Zweiersitzbank.
»Ich schätze mal, ich habe Ihre Kaution bezahlt, weil ich nicht glaube, dass Sie das, was Ihnen vorgeworfen wird, wirklich gemacht haben.«
»Tut mir leid, dass ich Sie da eines Besseren belehren muss«, erwiderte Angela und blickte Chet an. »Einige Vorwürfe stimmen durchaus, wenn auch nicht ganz so, wie in der Anklage formuliert. Ich habe etliche grässliche Stunden lang darüber nachgedacht. Der Hauptpunkt ist, dass ich bewusst die Einreichung eines Acht-K verschleppt habe. Das ist ein Formular der Börsenaufsicht. Aber wissen Sie was? Eigentlich war es auch nie so richtig klar, ob es überhaupt eingereicht werden muss. Ich meine, am Anfang hatten wir ja noch nicht mal ein Liquiditätsproblem. Das hat sich erst mit der Zeit entwickelt, und dann dachten wir, dass wir die MRSA ohne Weiteres in den Griff bekommen können. Wir haben doch nie geahnt, dass die Erreger vorsätzlich verbreitet werden.«
»Ich habe mit einem befreundeten Rechtsanwalt gesprochen«, sagte Chet. »Er hat gesagt, dass die Richter in Fällen wie diesem hier sehr diskret vorgehen.«
»Das kann ich nur hoffen«, erwiderte Angela. »Meine größte Sorge ist im Augenblick die, dass ich meine ärztliche Zulassung verlieren könnte, das ist sehr gut möglich. Das wäre die schlimmste Strafe überhaupt, weil mir nämlich endlich etwas klar geworden ist. Die Geschäftsfrau, zu der ich mich entwickelt habe, die mag ich nicht mehr. Ich komme mir vor, als hätte ich die ganze Zeit Scheuklappen aufgehabt. Geld ist ein verführerisches, aber letztendlich illusionäres Ziel, und es macht süchtig. Das Problem ist, dass man nie zufrieden ist. Egal, wie viel man gerade verdient hat, das ist alles nichts im Vergleich zu dem Gefühl, das ich früher hatte, wenn ich ein ganzes Wartezimmer voller Patienten versorgt hatte. Was ich damit sagen möchte: Ich will wieder als praktische Ärztin arbeiten.«
»Wie bitte?«, fragte Chet verblüfft.
»Ich möchte wieder in einer Arztpraxis arbeiten«, wiederholte Angela. »Zunächst einmal möchte ich meine ganzen juristischen Probleme aus der Welt schaffen, das ist die Voraussetzung für alles Weitere. Es war eine harte Lektion, aber jetzt weiß ich, dass diese ganze Vermischung von Medizin und Geschäft zwar großartig fürs Geschäft ist, weil da so gewaltige Summen im Spiel sind, aber gleichzeitig eine totale Katastrophe für die Medizin und für die Ärzte, die sich von den wirtschaftlichen Aspekten einfach gefangen nehmen lassen.«
»Interessant«, meinte Chet.
»Interessant?«, erwiderte Angela in fragendem Ton. »Wollen Sie sich über mich lustig machen? Ich habe wirklich pausenlos darüber nachgedacht. Das ist mein voller Ernst.«
»Ich will mich überhaupt nicht über Sie lustig machen«, erwiderte Chet. »Ganz im Gegenteil. Mir ist nur eben klar geworden, dass Sie mir gerade
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