Montgomery u Stapleton 06 - Crisis
der Prozessakte auf seinen Schoß.
Gerade noch rechtzeitig. Kurz darauf schlurfte Craig ins Arbeitszimmer. Er trug einen Bademantel und offene Hausschuhe. Er ging zu dem zweiten Lesesessel hinüber und setzte sich hin.
»Ich hoffe, ich störe dich nicht«, sagte er.
»Sei nicht albern«, antwortete Jack. Er konnte nicht umhin, den schleppenden Klang in Craigs Stimme zu bemerken, der noch nicht da gewesen war, als er nach oben gegangen war. Seine Arme hingen schlaff an seinem Körper, als seien sie gelähmt. Es war mehr als offensichtlich, dass Craig bereits sein Schlafmittel genommen und die Dosis nicht zu knapp bemessen hatte.
»Ich wollte mich nur bei dir dafür bedanken, dass du hergekommen bist. Ich weiß, dass ich gestern Abend und heute Morgen nicht gerade ein aufmerksamer Gastgeber war.«
»Kein Problem. Ich kann mir gut vorstellen, was du gerade durchmachst.«
»Außerdem wollte ich dir sagen, dass ich noch einmal über die Autopsie nachgedacht habe und jetzt auch dafür bin.«
»Dann ist es also einstimmig. Nachdem ich jetzt alle überzeugt habe, hoffe ich bloß, dass es auch tatsächlich klappt.«
»Wie auch immer, auf jeden Fall bin ich dir dankbar für deine Bemühungen.« Craig kämpfte sich wieder hoch und schwankte bedrohlich, ehe er das Gleichgewicht wiederfand.
»Ich habe einen Blick in deine Arzttasche geworfen«, sagte Jack, um sein Gewissen zu erleichtern. »Ich hoffe, das macht dir nichts aus.«
»Natürlich nicht. Brauchst du etwas? In der Zeit, als ich noch Hausbesuche machte, habe ich eine kleine Apotheke zusammengesammelt.«
»Nein! Ich war neugierig auf den Schnelltest für Herzinfarkt-Biomarker. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt.«
»Es ist schwer, mit der Entwicklung Schritt zu halten. Gute Nacht.«
»Gute Nacht«, antwortete Jack. Von seinem Sessel aus konnte er den langen Flur einsehen, durch den Craig auf die Treppe zustapfte. Er bewegte sich wie ein Zombie. Zum ersten Mal empfand Jack Mitleid mit ihm.
Kapitel 10
Newton, Massachusetts
Mittwoch, 7. Juni 2006
06.15 Uhr
D ie morgendliche Routine war wieder genauso chaotisch wie am Vortag, und erneut stritten sich Meghan und Christina über irgendein Kleidungsstück. Jack erfuhr nicht genau, worum es ging, aber an diesem Morgen waren die Rollen vertauscht. Nun war es Meghan, die Christina etwas verweigerte, woraufhin Christina in Tränen aufgelöst die Treppe hinaufstürmte.
Alexis war die Einzige, die sich normal verhielt. Sie schien der Kitt zu sein, der die Familie zusammenhielt. Craig war schläfrig und sprach kaum, offensichtlich stand er immer noch unter dem Einfluss des Schlafmittels, das er zusätzlich zu seinem Scotch genommen hatte.
Nachdem die Kinder aus dem Haus waren, wandte Alexis sich an Jack. »Wie sollen wir es heute halten? Willst du mit uns in die Stadt fahren, oder fährst du selbst?«
»Ich muss selbst fahren. Als Erstes will ich zum Bestattungsinstitut Langley-Peerson. Ich muss ihnen die unterschriebenen Papiere bringen, damit die Exhumierung in die Wege geleitet werden kann.« Er verschwieg, dass er hoffte, am späten Nachmittag noch die Gelegenheit zu einer Runde Basketball zu bekommen.
»Und dann kommst du irgendwann ins Gericht?«
»Das habe ich vor«, antwortete Jack, obwohl er im Stillen die Hoffnung hegte, dass Harold Langley ein Wunder vollbringen und Patience Stanhope noch an diesem Morgen aus ihrer ewigen Ruhestätte holen könnte. Dann könnte Jack die Autopsie gleich im Anschluss durchführen, hätte die makroskopischen Ergebnisse schon am Nachmittag, könnte sie Craig und Alexis präsentieren und dann den Shuttle-Flug zurück nach New York nehmen. Er hätte den Donnerstag, um im Büro noch alles zu erledigen, ehe am Samstagmorgen seine Flitterwochen begannen. Außerdem blieb ihm dann noch genügend Zeit, um in aller Ruhe die Flugtickets und die Hotel-Voucher abzuholen.
Jack verließ das Haus vor Alexis und Craig. Er setzte sich in seinen Mietwagen und fuhr in Richtung des Massachusetts Turnpike. Da er schon einmal im Bestattungsinstitut gewesen war, hatte er angenommen, dass es nicht allzu schwer sein würde, den Weg dorthin wiederzufinden. Doch da hatte er sich leider getäuscht. Er brauchte fast vierzig entnervende Minuten, um ungefähr fünf Meilen Luftlinie hinter sich zu bringen.
Obszöne Flüche vor sich hin murmelnd, fuhr Jack auf den Parkplatz des Bestattungsinstituts. Er war voller als am Vortag, und Jack musste ganz hinten parken. Als er um die Ecke
Weitere Kostenlose Bücher