Montgomery u Stapleton 06 - Crisis
der Technik, und verglichen damit wirkte der New Yorker Autopsiesaal wie ein Anachronismus.
Es gab fünf Sektionstische, von denen drei benutzt wurden. Latasha stand am hintersten und winkte ihn zu sich.
»Ich bin fast fertig«, sagte sie hinter ihrer Gesichtsmaske. »Ich dachte, Sie wollten vielleicht einen Blick hieraufwerfen.«
»Was haben Sie denn da?«, fragte Jack. Neue Fälle interessierten ihn immer.
»Eine neunundfünfzigjährige Frau, die tot in ihrem Schlafzimmer aufgefunden wurde, nachdem sie Besuch von einem Mann gehabt hatte, den sie im Internet kennen gelernt hatte. Das Schlafzimmer war in Unordnung, der Nachttisch umgeworfen und die Nachttischlampe zerbrochen, was auf einen Kampf schließen ließ. Die beiden Detectives da draußen glauben, es sei Mord gewesen. Die Frau hatte eine klaffende Wunde auf der Stirn, direkt am Haaransatz.«
Latasha zog die Kopfhaut der Frau, die sie über ihr Gesicht geklappt hatte, ehe sie den Schädel aufgesägt hatte, wieder zurück.
Jack beugte sich vor und musterte die Wunde. Sie war rund und ein Stück eingedrückt, als stammte sie von einem Hammer.
Latasha schilderte ihm, wie es ihr gelungen war, das Geschehen zu rekonstruieren und herauszufinden, dass es sich nicht um Mord, sondern um einen Unfall gehandelt hatte. Die Frau war auf dem gebohnerten Holzfußboden auf einem kleinen Bettvorleger ausgerutscht und gegen den Nachttisch geprallt, wobei sie mit voller Wucht mit der Stirn auf die Spitze der Lampe aufgeschlagen war.
Der Fall erwies sich als ein exzellentes Beispiel dafür, wie wichtig die Kenntnis des Schauplatzes war. Anscheinend endete die Spitze der Lampe in einer kleinen flachen Scheibe, die einem Hammerkopf ähnelte.
Jack war beeindruckt und hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg.
»Das gehört alles mit dazu«, entgegnete sie. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich wollte mit Ihnen über Ihr Angebot reden, mir mit Autopsieinstrumenten auszuhelfen. Sieht so aus, als hätte ich grünes Licht bekommen, vorausgesetzt, sie schaffen es, die Leiche rechtzeitig aus der Erde zu holen. Ich werde die Obduktion im Bestattungsinstitut Langley-Peerson vornehmen.«
»Wenn Sie nach Feierabend obduzieren, kann ich Ihnen gerne dabei assistieren. Und ich würde auch eine Knochensäge mitbringen.«
»Wirklich?«, fragte Jack. Ein so großzügiges Angebot hatte er nicht erwartet. »Ich würde mich sehr über Ihre Hilfe freuen.«
»Klingt nach einem interessanten Fall. Kommen Sie, ich stelle Sie unserem Chef, Dr. Kevin Carson, vor.«
Ihr Chef, der gerade eine Leiche an Tisch eins obduzierte, erwies sich als ein großer, schlaksiger, sympathischer Mann mit Südstaatenakzent, der erwähnte, dass er Jacks Chef, Dr. Harold Bingham, gut kannte. Er sagte, Latasha habe ihm erzählt, was Jack vorhatte, und er wiederholte ihr Angebot, Gewebeproben zu untersuchen und ihn notfalls auch mit toxikologischen Untersuchungen zu unterstützen. Er erklärte, dass sie die toxikologischen Untersuchungen noch nicht selbst durchführten, aber Zugriff auf ein fantastisches, rund um die Uhr besetztes Labor an der Universität hätten.
»Richten Sie Harold schöne Grüße aus Boston aus«, fügte Kevin hinzu, ehe er sich wieder seiner Autopsie zuwandte.
»Das mache ich«, antwortete Jack, während sich sein Gegenüber schon wieder über die vor ihm liegende Leiche beugte. »Und danke für Ihre Hilfe.«
»Er scheint ein angenehmer Chef zu sein«, bemerkte Jack, als er und Latasha hinaus in den Vorraum gingen.
»Er ist sehr nett«, bestätigte Latasha.
Fünfzehn Minuten später schob Jack seine Basketballklamotten zur Seite und ließ eine Kiste mit Autopsiezubehör im Kofferraum des Accent verschwinden. Außerdem steckte er Latashas Visitenkarte mit ihrer Handynummer in seine Brieftasche, ehe er sich hinters Steuer setzte.
Obwohl Alexis ihm ein anderes Parkhaus in der Nähe der Faneuil Hall empfohlen hatte, fuhr Jack lieber wieder zurück in die Tiefgarage unter dem Boston Common. Außerdem genoss er den Spaziergang am Parlamentsgebäude vorbei.
Nachdem Jack den Gerichtssaal betreten hatte, versuchte er, die Tür so leise wie möglich hinter sich zu schließen. Der Gerichtsbeamte war gerade dabei, einen Zeugen zu vereidigen. Jack hörte den Namen: Es war Dr. Herman Brown.
Er blieb neben der Tür stehen und blickte suchend durch den Raum. Er sah Craigs und Jordans Hinterköpfe neben ihren Anwälten und deren Assistenten. Die Geschworenen wirkten genauso gelangweilt wie tags
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