Moonlit Nights
wegnahmen, was einem gehörte, oder? Gehörte Liam
mir? Nein. Aber ich hatte ihn zuerst gesehen! Gab mir das
irgendeinen Anspruch auf ihn? »Irgendwie schon!!«, brüllte mein
Herz, doch mein Verstand sagte schlicht: »Nein«. Wollte ich denn
überhaupt einen Anspruch haben? Schließlich schien er sich
geradezu in der Aufmerksamkeit zu suhlen, die ihm heute Morgen
entgegengebracht wurde. Dieser selbstgefällige kleine Wurm …
Und wie er sich ständig verlegen ins Genick fasste und dann
grinste er noch ununterbrochen so dämlich. Oh Mann … Er sah
wirklich hinreißend in seiner verwaschenen Jeans aus! Sein
weißes Hemd hing an einer Seite lässig aus der Hose, war an den
Ärmeln hochgekrempelt und oben leicht aufgeknöpft, wodurch
man seine muskulöse Brust erahnen konnte. Ich erinnerte mich an
den Anblick von gestern, wie sich seine leicht gebräunte Haut
über seinen starken Bizeps spannte, als er die Kiste mit den
Äpfeln hochhob. Ich senkte meinen Blick und ging im großen
Bogen an ihm vorbei. Hoffentlich sah er mich nicht. Wenn die
anderen jetzt aufmerksam wurden, spotteten sie bestimmt noch
mehr über mich, um sich vor Liam zu profilieren. Das würde
gerade noch fehlen.
Ich hatte Glück. Keiner schenkte mir Beachtung. Was bildete ich
mir überhaupt ein, dass jemand wie Liam auf jemanden wie mich
aufmerksam wurde. Manchmal war ich ein echter Einfaltspinsel.
Ich schmunzelte, als mir dieses Wort einfiel. Dad benutzte es zu
gern.
Als ich im Klassenraum angekommen war, ging ich zielstrebig
auf meinen Tisch zu. Die Betonung lag hier auf meinen Tisch.
Natürlich saß ich allein. Ich war die Einzige, die allein saß. An
dem Tisch neben mir saßen ein Junge, Edwin und ein Mädchen,
Roswitha. Sie waren mindestens genauso unbeliebt wie ich.
Meiner Meinung nach waren sie allerdings auch nicht ganz dicht.
Liefen immer in schwarzen Mänteln rum, auch wenn es draußen
noch so heiß war. Und der Junge war sogar geschminkt! Aber sie
hatten wenigstens einander. Manchmal sprachen wir zusammen,
doch sie blieben lieber für sich. Genau wie ich lieber für mich
blieb.
Ich warf meinen Rucksack auf die Tischseite, die ich nicht
benötigte, und wartete darauf, dass der Unterricht anfing – wie
jeden Morgen.
Langsam füllte sich das Klassenzimmer.
Ich konnte Liam gar nicht sehen. Vermutlich war er in einer
anderen Klasse untergebracht. Ich wusste ja noch nicht einmal,
wie alt er überhaupt war. Vielleicht war er sogar eine Stufe unter
mir? Nein, eher unwahrscheinlich. Jünger als ich sah er bestimmt
nicht aus. Aber älter? Das konnte gut sein. Alle Aufregung völlig
umsonst. Irgendwie erleichtert ließ ich meinen Kopf auf die
Tischplatte sinken und schloss noch einmal kurz die Augen. Ich
war noch recht müde, hatte ich mich doch heute Morgen – so
unnütz – früh aus dem Bett gewälzt. Ich lächelte darüber. Wie
albern von mir …
Mr Pickel betrat den Raum und das Getuschel verstummte.
»Guten Morgen«, sagte er höflich und wartete darauf, dass die
Klasse ihm antwortete.
Selbstverständlich machten wir das brav. Die einen schnell, die
anderen weniger schnell. Nachdem auch der letzte Mr Pickel
begrüßt hatte, begann dieser erneut zu sprechen.
»Bevor wir heute mit dem Unterricht anfangen, möchte ich euch
euren neuen Mitschüler vorstellen.« Ich hob aufmerksam den
Kopf von der Tischplatte. Liam kam doch in meine Klasse? Mein
Herz begann zu klopfen. Schnell scannte ich das Klassenzimmer
nach einem freien Platz und wo er sich folglich hinsetzen würde.
Zu früh gefreut!
Dana, Amilias beste Freundin, schien heute nicht da zu sein,
sodass neben ihr der Platz frei war. Liam würde sich bestimmt
dorthin setzen. Neben die wunderschöne Amilia, die bereits so
fraulich und erwachsen aussah, als wäre sie mindestens 25 Jahre.
Es versetzte mir einen kleinen Stich in meine Herzgegend. Ich
führte es auf meine gekränkte Eitelkeit zurück. Als Liam das
Klassenzimmer betrat, bat Mr Pickel ihn, sich kurz vorzustellen.
Liam wandte sich zur Klasse und ich lauschte seiner männlichen
Stimme.
»Hey, ich bin Liam Hunter, komme aus Northville bei den
Blackstone Hills und bin vor Kurzem 17 geworden.«
Bingo! Ich würde in einem halben Jahr 17 werden. Das würde ja
schon mal zu meiner altmodischen Vorstellung, dass der Mann
älter als die Frau sein muss, passen. Ich grinste schelmisch.
Amilia rückte den Stuhl neben sich zurecht, warf ihre langen
blonden Locken zurück und blickte Liam
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