Moonlit Nights
hatte mein Gehirn Liams Hilfsangebot
noch nicht registriert und ich bückte mich weiter nach vorne,
sodass wir mit den Köpfen zusammenstießen.
»Aua …«, jammerte ich und rieb mir die Stirn. Warum musste
immer mir so etwas passieren?
»Sieht wohl so aus, als hätte doch
ich
den Holzkopf von uns
beiden …« Liam schenkte mir ein derart atemberaubendes
Lächeln, dass mein Herz sofort ins Stocken geriet, und blickte mir
dabei tief in die Augen. Mein Gejammer schien ihn offensichtlich
zu amüsieren. Ich korrigierte mich. Er war nicht nur gut
aussehend. Er war überaus gut aussehend. Um genau zu sein, war
er der bestaussehendste Junge, den ich je in meinem ganzen
Leben gesehen hatte. Seine schwarzbraunen Augen waren
tiefgründig und funkelten wild, und sein dunkles,
streichholzkurzes, zerzaustes Haar lud geradewegs dazu ein, darin
herumzuwühlen, als wäre man Dagobert Duck in seinem
Geldspeicher.
»Klar erkannt …«, zischte ich, entsetzt darüber, welche
merkwürdigen Gefühle er in mir auslöste. Ich rieb mir weiter die
Stirn, während Liam mir mit der Kiste folgte.
Nachdem wir die Äpfel verstaut hatten, erklärte ich ihm, wie
welche Obst- und Gemüsesorten hießen.
Ich hatte eigentlich vor, ihn ein bisschen zu ärgern. Ich fragte
immer wieder nach den seltensten und schwierigsten Obst- und
Gemüsesorten, doch zu meinem Ärger wusste er jedes Mal die
korrekte Antwort.
»Klugscheißer …«, brummte ich und resignierte. Liam grinste
breit.
»Wir sehen uns dann am Montag in der Schule!«, verabschiedete
er sich und verschwand aus der Ladentür. Gedankenverloren
starrte ich ihm hinterher.
»Toller Typ, oder?« Dad hatte sich von hinten an mich
herangeschlichen, ohne dass ich es bemerkt hatte. Erschrocken
zuckte ich zusammen.
»Ganz okay, glaub’ ich …« Ich musste meinem Vater ja nicht
gleich auf die Nase binden, dass ich ihn mindestens genauso toll
fand wie er. Fred musterte mich argwöhnisch.
Ihm schien nicht entgangen zu sein, dass mir Liams Schönheit
aufgefallen war, sagte aber nichts dazu. Ich, in Verbindung mit
Jungs, gehörte glücklicherweise nicht zu Dads Lieblingsthemen.
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Schule
Montagmorgen stand ich früher auf als sonst und zwang mich
unter die Dusche. Normalerweise tat ich das immer abends vorm
zu Bett gehen, doch diesmal wollte ich vor der Schule duschen.
Ich redete mir ein, dass ich einfach mal etwas anderes
ausprobieren wollte und das absolut nichts mit Liam zu tun hatte,
den ich heute wiedersehen würde.
Eigentlich lief mir meine Mutter in der Frühe selten über die
Füße. Sie arbeitete als Köchin und war grundsätzlich zu den
Zeiten, an denen ich zu Hause war, arbeiten.
»Morgen Mäuschen, du bist schon wach?!« Ihr Mund blieb von
der Frage offen, dazu ein hübscher, entsetzter Gesichtsausdruck.
Nett!
»Ähm … ja? Wollte duschen.«
»Morgens?!« Meine Mutter schien aus allen Wolken zufallen.
»Ist das so ungewöhnlich?«, pampte ich sie an, in der Hoffnung,
sie würde das Gespräch fallen lassen. Auch, wenn ich mich
ausnahmsweise früh aus dem Bett geschält hatte, hieß das noch
lange nicht, dass meine Morgenmuffeligkeit liegen geblieben war.
Mein Plan funktionierte.
»Ei-gent-lich sch-on«, stotterte sie, ging dann aber zurück in ihr
Schlafzimmer, um sich anzuziehen.
»Ist bestimmt wegen dem neuen Jungen«, hörte ich Dad sagen.
»Welcher neue Junge?« Das hatte definitiv das Interesse meiner
Mutter geweckt. Sie war ja schon lange dafür (um genau zu sein,
seit ich ungefähr aus den Windeln raus war), dass ich mir endlich
einen Freund suchen sollte.
»Liam – ein überaus höflicher, gut aussehender junger Mann, der
neu in unsere Nachbarschaft gezogen ist.« Ich konnte es zwar
nicht sehen, doch ich konnte mir bildlich vorstellen, wie meine
Mom jetzt strahlte.
»Wurd‘ ja auch langsam Zeit, dass sie sich für Jungs interessiert.
Als ich 16 war …«
»Daran erinnerst du dich noch? Ist ja ne Ewigkeit her!«, neckte
mein Vater sie.
Ja! Gut so, Dad! Verpass ihr einen Dämpfer, dann bleibt uns der
Rest erspart.
»Na ja, jedenfalls dachte ich schon, unsere Tochter sei eine
asexuelle Amöbe und würde noch zwischen deinem ollen Gemüse
verschimmeln.«
Ich biss die Zähne zusammen. Konnte meine Mutter nicht ein
einziges Mal zwischen den Dingen unterscheiden, die gesagt
werden durften und denen, die man höflichkeitshalber lieber nur
denken sollte? Bekam so etwas nicht sogar jedes kleine Kind
beigebracht?
»Jetzt lass sie
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