Moonshadow - Das Schwert des grauen Lichts
gezischt. Sie hatte ihm bedeutet, sich neben sie auf eine Steinbank zu setzten, und hatte ihm direkt aus der Nähe ins Gesicht geschaut.
»Nanashi-Kun«, hatte sie gefragt, »warum bist du hier und doch nicht hier? Wo bist du heute mit deinen Gedanken?«
»Ich hatte einen Traum«, hatte er gebeichtet. »Ich muss immerzu daran denken. Ich habe zwei Leute gesehen. Ich glaube, sie waren Bauern.« Er hatte sie mit feuchten Augen angesehen. »Und sie waren meine Eltern.«
Herons starkes, würdiges Gesicht war sogleich weich geworden. Sie war ihm mit den Fingern durch das Haar gefahren. »Armes Kind. Auch ich kenne die Einsamkeit«, hatte sie gemurmelt. Ihre Augen fest auf seine gerichtet, hatte sie ihm ihre Geschichte erzählt.
»Ich glaube, du weißt schon, dass ich die Frau eines Kriegsherrn war«, hatte sie begonnen. »Hochgeboren, privilegiert. Aber wenige wissen, wie ich dazu gekommen bin, dem Shogun im Orden vom Grauen Licht zu dienen.«
Sie erzählte von ei nem pracht vol len, aber ein samen Leben in einer mächtigen Festung, von einem ehrenhaften, aber distanzierten Ehemann, der für seine Kampfübungen, den Ruhm in der Schlacht und wenig sonst gelebt hatte. Ihre einzige Begleiterin, die sich langsam zu einer Vertrauten entwickelte, war eine nicht mehr ganz junge Zofe namens Toki.
»Eines Sommers«, hatte Heron erklärt, und ihr Gesicht war angespannt gewesen, »führte mein Mann seine Armee gegen unseren schlimmsten Feind aufs Schlachtfeld. Er fiel und seine Männer wurden in die Flucht geschlagen. Unser Schloss wurde angegriffen und während der Belagerung in Brand gesetzt. Ich nahm meine Naginata, bereit, bis zum Tod zu kämpfen, aber Toki hielt mich auf und sagte, es gebe
noch eine andere Wahl. Sie sagte, sie sei nicht die, für die ich sie hielte, dass ich sie nicht wirklich kenne, dass sie mich liebe wie eine eigene Tochter und sie uns beide von dem Feuer und dem Feind wegzaubern könne.«
»Wie?«, hatte Nanashi geflüstert. »War Toki-San eine Zauberin?«
»Nein.« He ron hatte ei nen Finger ge hoben. »Aber sie war auch kei ne einfache Zofe. Toki-San war eine Agentin des Schattenclans.«
Heron hatte das ausgeführt. Es hatte sich he rausgestellt, dass ihre alte, lie be, einzige Freundin eine Spionin gewesen war, vor langer Zeit vom Koga-Clan ins Schloss geschmuggelt, als Heron noch jung war, um im Auftrag der Feinde ihres Mannes die Burganlage auszukundschaften. Als aber ihre Zuneigung zu der jungen Adligen erwacht war, hatte sie ihren Herren jahrelang keine Meldung mehr gemacht. Toki glaubte, dass der Toga-Clan sie für tot hielt. Nicht Toki, sondern die Unbesonnenheit von Herons Ehemann und sein Durst nach Ruhm hatten zur Zerstörung seines Lehens geführt.
»Mit Rauchbomben, Verkleidungen und indem wir den Tumult der Belagerung selbst ausnutzten, hat Toki mir zur Flucht verholfen«, hatte Heron gesagt. »Wir flohen nach Miyajima, der Insel der Hirsche, wo sie mich in ihren geheimen Künsten unterrichtete, damit ich als vorher verhätschelte Lady in der weiten, harten Welt nicht hilflos wäre. Wir haben viele friedliche Jahre zusammmen verbracht. Dann war ich allein. Schrecklich allein.« Heron
hatte schwer geschluckt, bevor sie die Geschichte zu Ende erzählt hatte. »Als sie merkte, dass sie an Altersschwäche sterben würde, bat mich Toki, nach Edo zu gehen und einen bestimmten launischen, aber brillanten Gelehrten aufzusuchen, den sie schon lange bewunderte. Ich erfüllte ihren letzten Wunsch, und als ich ihn schließlich gefunden hatte, war dieser Gelehrte gerade in die Dienste des Shoguns aufgenommen worden. Du kennst ihn als Badger. Als er meine Geschichte gehört hatte, verstand er rasch, dass meine Ausbildung durch Toki für den Orden vom Grauen Licht von Nutzen sein konnte. Dank seiner Fürsprache begann mein neues Leben. Ich nahm einen neuen Namen an und war nie wieder einsam.«
Damals, in diesem sonnendurch fluteten Garten, umgeben von flatternden Spatzen, hatte Nanashi seine Tränen abgewischt und gesagt: »Jetzt fühle ich mich nicht mehr so einsam.«
Mit einem Lächeln hatte Heron ihn umarmt, seinen Kopf gekrault und ihm über die Haare gestrichen.
Heute, auf der Landstraße, hatte Nanashi zwar auch einen neuen Namen, aber fern von He ron und den anderen fühlte er, wie die Einsamkeit wieder nach ihm griff.
Er seufzte, dann brach er langsam in ein linkisches Lächeln aus. Heimweh oder nicht, die Augen dieses Mädchens hatten ihm doch ein interessantes Gefühl verschafft.
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