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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiernan Celine
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Atem zu beruhigen. Gefasst nickte sie dem Mädchen zu und wartete, bis sie außer Sichtweite war, dann erst spiegelte sich die Bestürzung in ihrem Gesicht.

    Shearings Geist hatte sie wirklich aus der Fassung gebracht! Es war, als hätte sich die Welt plötzlich zur Seite geneigt, und Wynter rutschte geradewegs auf die Kante zu. Was war hier nur geschehen, dass Katzen eine höfliche Begrüßung nicht erwiderten und sich Gespenster fürchteten, mit einer alten Freundin zu plaudern?
    In ihren fünfzehn Lebensjahren hatte sich Wynter schon damit abgefunden, dass die meisten Menschen unberechenbar und kaum vertrauenswürdig waren, treu nur, solange der Wind günstig stand. Aber Geister? Geister und Katzen hatten immer ihren eigenen Kopf gehabt. Und wenn man auch nie damit rechnen durfte, dass eine Katze anderen Zwecken als ihren eigenen diente, so wusste man bei ihnen stets, woran man war. Die orangefarbene Katze auf der Brücke jedoch war über Wynters Gruß verängstigt und bestürzt gewesen, genau wie eben Shearings Geist. Und das brachte alles durcheinander – alles, worauf sich Wynter ihr ganzes Leben lang verlassen hatte, verlor jäh seine Grundlage und ließ sie unsicher und verwirrt zurück.
    Sie blickte sich um. Niemand zu sehen; im Augenblick drohte keine Gefahr. Dann holte sie tief Luft und schloss kurz die Augen. Das Gewicht der Werkzeugrolle ihres Vaters gab ihr Sicherheit, die Dorne und Deichseln, Hobel und Meißel – erworben und gepflegt im Laufe seiner zweiundzwanzig Jahre als Lehrling, Geselle und Meister seines Handwerks. Und daneben ihr eigenes Werkzeug, weniger zahlreich noch, da sie erst das fünfte Jahr sammelte. Sie verlagerte das Gewicht, fand ihren Schwerpunkt, spürte die Festigkeit des Bodens unter den Stiefeln. Gute Stiefel, feste Reitstiefel, für die Ewigkeit gemacht. Sie spürte eine Regung der trägen Luft auf ihrem Gesicht, lauschte dem schläfrigen Tschilpen der Spatzen, die in den Kastanien auf die Abendkühle warteten, und dem steten Rauschen der Blätter. Langsam rann ihr
ein Schweißtropfen zwischen den Schulterblättern den Rücken hinunter; der durchdringende Geruch der Straße stieg von ihren Kleidern auf.
    All diese Gefühle, Geräusche, Gerüche nutzte sie, um wieder zu sich zu finden, wie ihr Vater es sie gelehrt hatte – um wieder stark und gegenwärtig zu sein. Ihr Vater nannte das im Augenblick sein . Sie sammelte sich. Untersagte sich, über das nachzudenken, was geschehen könnte. Verbot sich, weiterhin zu grübeln, was passiert sein mochte, während sie fort war. All das würde mit der Zeit enthüllt werden, durch sorgfältige und bedächtige Nachforschungen. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf, einfach nur da zu sein, einzuatmen, auszuatmen, den Boden unter sich, die Bäume über sich, das Gewicht des Werkzeugs auf der Schulter zu spüren.
    Als sie die Augen wieder öffnete, erkannte Wynter dreierlei mit großer Klarheit: Erstens brauchte sie etwas zu essen. Zweitens musste sie Razi und Alberon finden. Und drittens – keinesfalls unwichtig – hatte sie ein Bad nötig. Genau, dachte sie, schob die Werkzeugrolle auf der Schulter zurecht und seufzte. Eins nach dem anderen, immer schön der Reihe nach. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und ging gemächlich zur Küche.

Razi
    Im hinteren Teil des Schlosses führte eine Tür zu breiten Steinstufen und hinab auf einen Kiesweg. Der Pfad wand sich vom Schloss fort durch etwa einen Morgen gepflegten Forst und von dort über eine bewachte Brücke, die den Burggraben querte, hinein in den dichten, urwüchsigen Wald jenseits der Zwingermauern. Der König pflegte diesen Weg zu nutzen, wenn ihm der Sinn nach einem Tag zwanglosen Fischens oder Jagens stand. Er nannte ihn »die Hintertür« und sagte dann gern: »Mir hängt das Regieren zum Halse heraus, lasst uns durch die Hintertür verschwinden, Freunde, und den Tag verbummeln wie wilde Kerle.«
    Wie oft hatte Wynter den König und ihren Vater über diesen Weg laufen sehen, die Angelruten oder Bögen über die Schultern geschlungen, ein Häuflein Gefährten im Schlepptau. Als sie nun hier stand und den Pfad betrachtete, erinnerte sie sich daran, wie Razi, Alberon und sie selbst früher auf den Steinstufen gehockt und den Männern nachgesehen hatten – schmollend, weil sie nicht mitdurften. Zu der Zeit, da der Gro ße Wandel einsetzte, war Razi bereits vierzehn gewesen, und sie und Alberon hatten sich an den Anblick gewöhnt, ihn mit den Jägern zusammen fortziehen zu

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