Moorehawke 02 - Geisterpfade
darfst mich nicht erschrecken. Ich habe mich momentan nicht sonderlich gut im Griff.«
»Hast du Schmerzen? Brauchst du Razi?«
Christopher schüttelte den Kopf. »Nein, du hast mich nur erschreckt.«
Wynter musterte seine reglose Miene und glaubte ihm nicht. Irgendwo war er von diesen Männern verletzt worden – vielleicht im Bauch – und wollte es ihr nicht sagen. Ich werde dafür sorgen, dass Razi dich gründlich untersucht , nahm sie sich vor. Stolz hin oder her, ich werde darauf bestehen . »Willst du nicht schlafen?«, fragte sie zärtlich.
Erneut schüttelte Christopher den Kopf, gleichzeitig verstärkte sich der Griff seiner Finger beinahe verzweifelt, und sie beschloss, ihn nicht weiter zu bedrängen.
Also lag sie einfach nur ruhig neben ihm, und ganz allmählich löste sich die Starre in Christophers Körper. Er ließ ihre Hand nicht los, und sie versuchte nicht noch einmal, ihn zu streicheln, sondern spürte nur seine warme Haut, fühlte seinen langsamer werdenden Atem, beobachtete sein nun etwas friedvolleres Gesicht. Nach und nach lockerte er den Griff um ihre Finger.
»Christopher? Was ist Frith? Ich dachte, es wäre euer Gott. Aber das stimmt gar nicht, oder?«
Er schüttelte den Kopf.
»Diese Zeremonie, die Zeremonie des Frith … wird sie sehr schlimm sein?«
Alles, was Wynter je über heidnische Bräuche gehört hatte, schwirrte in ihrem Kopf herum – Folter, Blutopfer, rituelle Begattung – und ängstigte sie; sie wusste nicht, was man von Razi und ihr vielleicht verlangen würde. Doch zu ihrer Überraschung lächelte Christopher selig ins Licht, das durch die Zeltspitze hereindrang. Er zog ihre Handfläche in die Mitte seiner Brust, wo sie sein Herz schlagen fühlen konnte. »O nein«, hauchte er. »Es ist eine wundervolle Zeremonie. Ich habe sie immer geliebt.«
»Ach wirklich?« Nach seiner Frostigkeit gegenüber Úlfnaor war Wynter erstaunt, solch wehmütige Freude auf Christophers Gesicht zu entdecken.
»Frith«, flüsterte er dann, »Frith ist vieles. Gemeinschaft, gleiche Ziele, Sicherheit. Es ist … es ist schwierig zu erklären.« Er verstummte. Als er weitersprach, klang seine Stimme schwer und träge, seine Miene war feierlich. »Wenn wir einen Ort zu Frith erklären, dann beanspruchen wir diesen Ort für unser gesamtes Volk. Wir machen es zu Gemeineigentum, zu einem geschützten und heiligen Platz für alle Stämme. Das tun wir mit unseren Zeltlagern. Mit unseren Treffpunkten. Mit heiligem Boden. Überall, wo sich Das Volk ohne Auseinandersetzung oder Zwietracht versammelt.«
Zu Wynters Bestürzung füllten sich Christophers Augen mit Tränen, eine blitzte hell auf, rann ihm über den geschwungenen Wangenknochen und verschwand im Schatten seines Halses. »So lassen wir An Domhan wissen, dass wir nichts Böses im Sinn haben«, flüsterte er. »Es bedeutet Schutz. Dort sind wir sicher.« Kurz drückte er Wynters Hand und schloss die Augen.
Aber das klingt doch gut , dachte Wynter. Das klingt wunderschön . »Warum weinst du, Christopher?« Sie wollte ihn nicht beschämen, doch sie musste es wissen.
Heftig schüttelte er den Kopf. Nein , hieß das, frag nicht .
»Es klingt so wundervoll, dieses Frith. So gut.«
»Das ist es auch«, gab er zurück. »Wirklich, Iseult, das ist es. Das musst du mir glauben.«
»Aber warum willst du dann, dass wir fortgehen? Wenn diese Menschen doch auf uns aufpassen können? Sie würden uns beschützen, oder? Sie würden sich um uns kümmern, wenn wir sie darum bäten?«
Er nickte. Ja, das würden sie .
Er weiß es , dachte sie da. Er weiß, dass sein Volk sich hier unmöglich niederlassen kann. Vielleicht bekümmert ihn, dass sie irregeführt werden und dass wir sie benutzen müssen, um zu Albi zu gelangen. Er möchte daran nicht teilhaben, möchte nicht eine Gefolgschaftstreue gegen eine andere ausspielen . Das konnte sie gut nachfühlen, es tat ihr sehr leid für ihn. Aber wer kann schon wissen, was die Zukunft für sie bereithält? , dachte sie weiter. Wer kann sagen, welche Übereinkünfte getroffen werden, wenn wir erst Alberons Feldlager erreichen? Vielleicht ist hier trotz allem genug Platz für alle?
Die Geräusche des Lagers sickerten durch die Zeltwände herein, friedlich und beruhigend. Wynters Augen fielen langsam zu, und ohne nachzudenken, strich sie mit dem Daumen zärtlich über die warme Haut auf Christophers Brust.
Sicher , dachte sie. Geschützt. Frith .
Schach
V or dem Zelt rief jemand leise etwas auf
Weitere Kostenlose Bücher